rheinisches journalistinnenbüro

 

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Archiv fÜr alternatives schrifttum (AFAS)

Journalismus im Kollektiv
(Seit 1982/83)

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»Die Mikros denen, die sonst nicht zu Wort kommen«
Journalismus im Kollektiv (1982 bis 2012)

Get Ready – Die Gründung des RJB 1982

Imagine – Die Idee der Zusammenarbeit

Come together – Das Konzept des Kollektivs

Take a walk on the wild side – Freiraum für politische Initiativen

Five to one – Vom kollektiven Umgang mit Texten

Money – Das ökonomische Modell des RJB

Take it as it comes – Theorie und Praxis

Time is on my side – Die neue Armut: Das erste Langzeitprojekt des RJB

Inside Out - Rundfunkarbeit

The Times They Are A-Changin'! – Umzüge und erste personelle Wechsel

(Wo)men at work – Weitere neue MitarbeiterInnen

Satisfaction – Die Verwirklichung kleiner Utopien

Return to the future – Milleniumswechsel im RJB

Ten Years After – Das Langzeitprojekt «Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg»

When I'm Sixty-Four – Die letzten Jahre des Kollektivs

 

 

Get Ready – Die Gründung des RJB 1982

Als das Rheinische Journalistenbüro (RJB) Anfang der achtziger Jahre gegründet wurde, war das große »I« zur Feminisierung des Namens noch unüblich und auch nicht nötig, denn das RJB bestand anfangs nur aus Männern. Die Geburt des Kollektivs erfolgte in Etappen: Im April 1982 mieteten Werner Balsen und Hans Nakielski zwei Räume in einem Kölner Hinterhof und gaben dem Projekt seinen Namen. Das »Rheinische« vor dem »Journalistenbüro« war dabei weniger Verweis auf die geografische Lage denn unbescheidene Erinnerung an die Rheinische Zeitung, die ein gewisser Karl Marx im 19. Jahrhundert in Köln herausgegeben hatte. Ambitionen allein machen aber noch kein Kollektiv…
Das erste Büro in der Lütticher Straße 64 teilte sich das RJB mit der Redaktion von Dr. med. Mabuse, einer »alternativen Zeitschrift für das Gesundheitswesen«. Als Anfang 1983 Rolf Winkel und Karl Rössel zum RJB stießen, zwängten sich sieben Leute in zwei Räumen. Mit ihren Schreibmaschinen veranstalteten sie einen Höllenlärm und hämmerten Rundfunk aufs Papier.

Imagine – Die Idee der Zusammenarbeit

Die Idee, ein Journalisten-»Kollektiv« zu gründen, war schon in den siebziger Jahren entstanden. Damals begannen viele Linke in Alternativbetrieben, Wohngemeinschaften und Kollektiven zusammen zu leben und zu arbeiten. Gemeinsame Grundhaltung dieser »Projektebewegung« war, nicht länger auf »die Revolution«, »den Sozialismus« oder »eine bessere Gesellschaft« zu warten, sondern schon in den bestehenden »schlechten« Verhältnissen »selbstbestimmte«, »nicht entfremdete« Lebens- und Arbeitsformen zu erproben.
Damals, Anfang der siebziger Jahre, absolvierten Hans Nakielski, Karl Rössel und Werner Balsen eine Journalistenausbildung an der Kölner Schule – Institut für Publizistik, in deren Lehrplan sich noch die politische Aufbruchstimmung in Folge der Studentenbewegung widerspiegelte. So gehörten Marxismus-Kurse und die kritische Auseinandersetzung mit der (deutschen) Geschichte ebenso selbstverständlich zum Lehrprogramm wie nächtliche Reportagen über den Kölner Hauptbahnhof und Diskussionen über neue Darstellungsformen im Radio. Die drei angehenden Journalisten studierten zudem an der Universität Köln Volkswirtschaft und Soziologie und schrieben ihre Diplomarbeiten über sozialpolitische Themen. Sie sollten zu einem Schwerpunkt ihrer journalistischen Arbeit werden. Das Trio kam schon damals zu dem Schluss, später auf jeden Fall »frei« arbeiten zu wollen. Da die drei schon an der Kölner Schule viele Texte gemeinsam verfasst und gegenseitig redigiert hatten, lag die Idee nahe, später gemeinsam ein Büro zu betreiben. Dem politischen Zeitgeist entsprechend sollte dies »ein Kollektivbetrieb« werden, auch wenn der Direktor der Kölner Schule ausdrücklich warnte: »Sozialismus im Kleinen funktioniert nicht!«
Nach dem Examen im Frühjahr 1979 verhinderte zunächst der Staat die sofortige Realisierung der gemeinsamen Büroidee: Karl Rössel und Hans Nakielski wurden zum Zivildienst in einem Altenheim eingezogen und führten Filme in Altenclubs vor. Werner Balsen, dem es gelungen war, seine Untauglichkeit für den Kriegsdienst nachzuweisen, brach derweil zu einer längeren Reise nach Südamerika auf. Die meiste Zeit verbrachte er in Chile. Im April 1981 trat schließlich Karl eine Reise mit offenem Ende an: Er fuhr mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Ostasien, bereiste Japan, Südkorea, China und Hongkong, verbrachte vier Monate auf den Philippinen und ein Jahr in Australien. Die Reisenden schrieben erste Reportagen über ihre Erfahrungen. So kristallisierte sich ein zweiter Schwerpunkt der journalistischen Arbeit im RJB heraus: Internationalismus.

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Come together – Das Konzept des Kollektivs

Als Karl Rössel im Januar 1983 aus Australien zurückkehrte, hatten Hans Nakielski und Werner Balsen in dem neu bezogenen Büro bereits ein dreiviertel Jahr Rundfunksendungen geschrieben. Ein Feature zum Thema Arbeitslosigkeit hatten sie erstmals gemeinsam mit Rolf Winkel umgesetzt, der bis dahin in einem sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut tätig gewesen war, aber Gefallen am Journalismus und an der gemeinsamen Büroidee gefunden hatte. Die Belegschaft des Rheinischen Journalistenbüros war also auf vier Mitglieder angewachsen, als die kollektive Organisationsform festgeschrieben wurde. Die Kollektivisten vereinbarten, alle Einnahmen auf ein gemeinsames Konto fließen zu lassen und davon Einheitslöhne zu zahlen. Der »Orgakram« – Buchhaltung, Putzen, Zeitungsauswertung – wurde untereinander aufgeteilt. Eine weitere Arbeitsteilung und formelle Hierarchien sollte es nicht geben. Darum wurde auch keine Sekretärin eingestellt.
Solche und andere Überlegungen standen in Grundsatzpapieren zur Struktur des Kollektivs. Über die politische Grundhaltung (»antikapitalistisch«, »systemoppositionell«, »außerparlamentarisch« ...) hatten sich die Beteiligten rasch verständigt. Welche konkreten Folgen sich daraus für das journalistische Selbstverständnis und die Arbeitsorganisation ergaben, war wesentlich strittiger. Die einen betonten die »Professionalität« der journalistischen Arbeit sowie die Existenzsicherung der Gemeinschaft und träumten von gewerkschaftlich erkämpften Tariflöhnen (»Wir müssen von unserer Arbeit leben können«). Die anderen wollten die journalistische Arbeit vor allem an politische Basisinitiativen rückkoppeln (»Wir müssen zum Sprachrohr der Bewegungen werden«). Darüber hinaus waren Utopien im Gespräch: die Gründung eines »freien Radios«, die Verwandlung des Rundfunks »von einem Distributions- in einen Kommunikationsapparat« (im Sinne Bertolt Brechts), die »Vier-Tage-Woche für alle« (die später für kurze Zeit realisiert wurde) und »Liebeskummerurlaub« nach Bedarf.
Einige Standardfragen, mit denen sich Linke in jedem bürgerlich-kapitalistischen Berufsumfeld konfrontiert sehen, hat auch das RJB immer wieder thematisiert: Was bedeutet politische Konsequenz? Wie lässt sich Anpassung an die vorherrschende Meinung vermeiden? Welche Themen haben eine besondere politische Relevanz, werden unterschlagen oder ignoriert und sollten deshalb vordringlich recherchiert und publiziert werden? Welche Darstellungsformen entsprechen den Inhalten am besten? Und welche Auftraggeber und Medien kommen dafür in Frage?
Die Gründungsmitglieder des RJB entschieden sich aus inhaltlichen und ökonomischen Gründen dafür, nicht allein für linke Zeitungen und Zeitschriften zu arbeiten, sondern schwerpunktmäßig für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die ARD-Rundfunkanstalten spiegeln die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, so die Überlegung. Also sollten bestehende inhaltliche Freiräume genutzt, verteidigt und möglichst ausgeweitet werden. Auch erschien es reizvoll, über das Radio ein breiteres Publikum zu erreichen als die begrenzte Leserschaft der linken Presse. In einem RJB-Papier heißt es dazu: »Selbst bei geringen Einschaltquoten für politische Radio-Features hören – je nach Sendezeit – immer ein paar tausend oder gar zehntausend Menschen zu. Wir müssten schon sehr viele Flugblätter drucken, Bücher verkaufen oder Veranstaltungen organisieren, um dieselben Informationen einem ähnlich breiten Publikum vermitteln zu können.« Abgesehen davon war die Existenzgrundlage des Kollektivs langfristig nur durch Rundfunkaufträge zu sichern: »Die öffentlich-rechtlichen Anstalten zahlen zwar keineswegs üppige, aber zumindest regelmäßige Honorare, was bei (linken) Printmedien keineswegs garantiert ist.«

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Take a walk on the wild side – Freiraum für politische Initiativen

Von Anfang an wollte sich das Kollektiv den Freiraum schaffen, auch für Initiativen und Medien zu arbeiten, die nur wenig oder nichts bezahlen können. Und so wurden Texte geschrieben für die (frühe) taz und die (frühe) Kölner StadtRevue, für konkret, SoZ, Schwarzer Faden und ak (früher Arbeiterkampf, heute analyse und kritik), für die Gewerkschaftspresse (von der feder, später M, bis zur ran und von solidarität bis metall) und für Zeitungen der Internationalismusbewegung (von blätter des iz3w, BRD + Dritte Welt, epd-Entwicklungspolitik bis zu Sahara-Info, Philippinen-Forum und Afrika Süd), für die Zeitung kritischer Christen, Publik Forum, für die Wochenzeitung (WOZ) in der Schweiz und die Volksstimme in Österreich, für Publikationen von Arbeitslosenzentren und Erwerbsloseninitiativen, Obdachlosen und MigrantInnen, Flüchtlingsinitiativen und GlobalisierungsgegnerInnen.
Die Kollektivstruktur eröffnete von Anfang an auch die Möglichkeit, politische Aktivitäten während der Arbeitszeit zu organisieren und dafür die Infrastruktur des Büros zu nutzen. Einzelne Mitglieder des Kollektivs wurden zeitweise von der Arbeit freigestellt und damit finanziell von den anderen mitgetragen, um Polit- und Kulturveranstaltungen zu organisieren, an Demonstrationen teilzunehmen und vor Initiativen und Aktionsgruppen zu referieren.

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Five to one – Vom kollektiven Umgang mit Texten

Journalismus im Kollektiv bedeutet, dass von Beginn an alle Texte, die geschrieben werden – vom Kurzbeitrag fürs Radio bis zum Buchmanuskript –, von einer oder einem anderen redigiert und kritisiert werden. Überprüft werden die Texte auf Verständlichkeit, Wortwahl, Aufbau und Dramaturgie. Nach dem Motto: Mehr Leute haben mehr Ideen. Die intensive Bearbeitung der Texte setzt das gegenseitige Vertrauen voraus, inhaltliche nicht mit persönlicher Kritik zu verwechseln. Individuelle Empfindlichkeiten und Eitelkeiten, das jedenfalls zeigen regelmäßige Debatten, sind deshalb nicht automatisch aus der Welt. Noch 2002 wurde einen ganzen Tag lang über das Redigieren debattiert. In unregelmäßigen Abständen trifft sich das Kollektiv zu »Bürotagen«, um über Fragen wie »Theorie und Geschichte der Reportage«, »Formen des Rundfunkfeatures«, »Möglichkeiten und Grenzen freier Radios« oder auch »Unterschiede beim Redigieren« zu diskutieren.
Die Positionen reichen von »Respekt vor den stilistischen Eigenarten des Einzelnen« (und der Forderung, entsprechend zurückhaltend Textkritik zu üben) bis zur »Bemühung um Ergebnisse, unter die jedes Kollektivmitglied seinen Namen setzten könnte« (mit der Folge, entsprechend rigoros in die Manuskripte anderer einzugreifen). Alle Texte gegenzulesen kostet Zeit und Geld. Andererseits profitiert jede und jeder vom regelmäßigen Feedback. Auch RedakteurInnen wissen dies offensichtlich zu schätzen, weil sie – wie es gelegentlich hieß – mit Texten aus dem RJB meist erfreulich wenig Redigierarbeit hätten.

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Money – das ökonomische Modell des RJB

Das ökonomische Modell des RJB funktioniert ganz einfach: Alle Einnahmen gehen auf ein gemeinsames Konto, egal, ob es sich um Honorare handelt für Artikel, Sendungen, Moderationen, Aushilfstätigkeiten in Redaktionen, Buchtantiemen, Vorträge, Seminare, Teilnahme an Diskussionen, Recherchen, Übersetzungen oder Urlaubsgeld von Rundfunkanstalten. Nebeneinkünfte gibt es grundsätzlich nicht. Unbezahlte Arbeiten für Initiativen, linke Zeitungen, politische Aktionen etc. bedürfen der Zustimmung des Kollektivs. Vom gemeinsamen Konto überweisen sich alle denselben Lohn. Die Höhe des Monatslohns wird gemeinsam festgelegt und auch bei Krankheit und Urlaub (ca. sechs Wochen) weitergezahlt.
Darüber hinaus übernimmt das Kollektiv alle Sozialabgaben, Steuern, Beiträge zur Krankenversicherung, Pensionskasse, Berufsgenossenschaft und Gewerkschaft. Wurde in den Anfangsjahren ein Kindergeld gezahlt, so haben Kollektivmitglieder mit Kindern heute Anspruch auf einen freien Tag pro Woche bei vollem Lohnausgleich. Angestellte gibt es im RJB nicht. Nur gelegentlich werden Arbeiten wie das Abtippen von (fremdsprachigen) Interviewbändern und inzwischen auch das Putzen ausgelagert. Alle anderen organisatorischen Aufgaben wie Kontoführung, Betreuung und Wartung der technischen Geräte und Computer, Einkauf, Spüldienst, Postverteilung und Blumenpflege sind untereinander aufgeteilt.

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Take it as it comes – Theorie und Praxis

Die selbstgesetzten inhaltlichen Ansprüche in die Praxis umzusetzen bedeutete insbesondere in den ersten Jahren: viel Arbeit für wenig Geld. Kontakte zu verschiedenen RedakteurInnen mussten geknüpft und Sendeplätze für die Schwerpunktthemen des Kollektivs gefunden werden. Hauptauftraggeber in den ersten Jahren waren verschiedene Hörfunkredaktionen des Westdeutschen Rundfunks, WDR. Damals wurden auch verschiedene Darstellungsformen erprobt. Zum Beispiel in einem Feature über die korrupten Machenschaften eines Unternehmers bei der Schließung seines Textilbetriebes in der münsterländischen Kleinstadt Gronau (»Der Delden Deal. Ein Wirtschaftskrimi vom Niederrhein«). Das Feature arrangierte die Originaltöne in Form einer Anhörung über das skandalöse Verhalten des Textilfabrikanten Delden in der Gronauer Stadthalle. Als Leiter dieser fiktiven Versammlung fungierte der Kabarettist Henning Venske.
1983 entstand aus verschiedenen Radiosendungen des RJB ein Buch (Titel Ohne Arbeit geh’ste kaputt – Reportagen aus dem Innenleben der Krise, illustriert durch Fotogeschichten der Kölner »Arbeiterfotografie«). Die vier Kollektivisten fühlten sich durch die Anfrage eines Verlages so geehrt, dass sie sich keinerlei Gedanken über die Finanzierung der Arbeit machten, zumal begleitend auch noch eine Tonkassette mit Interviews und Auszügen aus Rundfunksendungen herausgegeben werden sollte. Im Ergebnis war das Kollektiv schon im ersten Jahr fast ruiniert. Denn das Projekt brachte einen Stundenlohn von weniger als 50 Pfennigen ein.
Danach stand fest, dass Bücher künftig nur noch bei gesicherter Finanzierung geschrieben werden sollten. Die sollte deutlich über den miserablen Honoraren der Verlage liegen. Bei den nächsten größeren Publikationen gelang es, diesen Vorsatz umzusetzen – durch Kooperation mit den Gewerkschaften. Die gewerkschaftseigene Hans-Böckler-Stiftung finanzierte von Ende 1983 bis 1989 mehrere aufwändige Recherchen und Buchproduktionen des RJB: Die neue Armut:. Ausgrenzung von Arbeitslosen aus der Arbeitslosenunterstützung, Tipps für Arbeitslose, Unternehmermethoden gegen Betriebsratswahlen. Reportagen aus Grauzonen der Arbeitswelt und Erlebte Geschichte – Montanmitbestimmung in Rheinhausen und anderswo.
Die gewerkschaftseigene Hans-Böckler-Stiftung finanzierte Buchprojekte nach Aufwand (Arbeitsmonaten) statt Ertrag (Verkaufserlösen). So konnte das RJB 1987 aufwändige, investigative Recherchen anstellen über die Tricks und Erpressungsstrategien, mit denen bundesdeutsche Unternehmer versuchten, die Gründung von Betriebsräten zu verhindern: »Zu ihrem Repertoire zählen Drohungen, Abmahnungen, Kündigungen, Versetzungen von ArbeitnehmerInnen ebenso wie Betriebsveränderungen und Firmenaufspaltungen.« Die Rechercheure besuchten Betriebsfeste und Weihnachtsfeiern sowie Geheimtreffen gewerkschaftlich organisierter KollegInnen, die ihre Entlassung befürchteten. Sie recherchierten bei Großkonzernen wie BMW, WAZ und McDonalds sowie bei mittelständischen Unternehmen wie der Schnapsbrennerei Stonsdorfer, der Gebäudereinigung Schäfer, den Euro-Sprachschulen und der Druckerei Interlitho in Flensburg. Fazit: »Der Betriebsratsbefürworterin in einem Kaufhaus wird ein Ladendiebstahl unterstellt, um einen Kündigungsgrund zu finden, der Betriebsratskandidatin in einer Zeitungsredaktion die Verletzung der journalistischen Sorgfaltspflicht, dem Wahlvorstandsmitglied einer Schnellimbisskette wird die Kürzung der Erholungspausen angedroht und die Leitung eines Automobilkonzerns ist mit Werbespezialisten behilflich, um der ›Mannschaft der Vernunft‹ bei den Betriebsratswahlen zum Sieg zu verhelfen.«
Das Buch erschien in der Taschenbuchreihe rororo-aktuell, weil auch die gewerkschaftlichen Auftraggeber an einer möglichst großen Verbreitung dieser Betriebsreportagen interessiert waren. Dafür hätten sie die Ergebnisse des nächsten vom RJB recherchierten und von der Hans-Böckler-Stiftung finanzierten Projektes lieber in der Schublade verschwinden lassen: eine kritische Geschichte der »Montanmitbestimmung in Rheinhausen und anderswo«. Denn darin spielten die Gewerkschaften eine höchst zweifelhafte Rolle. Durch den Konflikt, der sich daraus ergab (s.u.), verlor das RJB Ende der achtziger Jahre seinen bis dahin wichtigsten Finanzier.

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Time is on my side –
Das erste Langzeitprojekt des RJB: Die neue Armut

Im November 1983 erstellte das RJB eine Studie mit dem Titel Die neue Armut. Ausgrenzung von Arbeitslosen aus der Arbeitslosenunterstützung, die ein Jahr später, aktualisiert und um Fallbeispiele, Reportagen, Fotos und Grafiken ergänzt, als Buch im gewerkschaftseigenen Bund-Verlag erschien. Bei diesem Gemeinschaftsprojekt profitierte das Kollektiv von den Erfahrungen Rolf Winkels in der sozialwissenschaftlichen Forschung. Er initiierte und organisierte eine gesonderte Computerauswertung aller Daten der Nürnberger Bundesanstalt für Arbeit. Damit konnte erstmals wissenschaftlich fundiert nachgewiesen werden, dass schon 1983 über 1,6 Millionen Erwerbslose keinen Pfennig Arbeitslosenunterstützung (mehr) bekamen und welche Gruppen von dieser Ausgrenzung aus der Arbeitslosenversicherung besonders betroffen waren. Das Buch Die neue Armut erlebte mehrere Auflagen, und die Studie zur Demontage der Arbeitslosensversicherung wurde danach noch mehrfach aktualisiert und um Sonderuntersuchungen ergänzt, so z.B. zur sozialen Ausgrenzung von arbeitslosen Jugendlichen und zur Verarmung von Erwerbslosen am Beispiel der Stadt Köln.
Das RJB schrieb über die Ergebnisse mehrere Radiosendungen und stellte das Thema auf zahlreichen Veranstaltungen öffentlich vor. So wurde eine breite politische Auseinandersetzung über das Thema »Neue Armut« ausgelöst.
Die Erfahrungen bei Veranstaltungen mit Erwerbslosen und SozialhilfeempfängerInnen führten zu der Idee, eine Broschüre mit Ratschlägen und allgemein verständlichen Tipps für Arbeitslose herauszugeben. Den Betroffenen sollte damit geholfen werden, sich im Dickicht sozialpolitischer Gesetzgebungen und Sonderbestimmungen zurechtzufinden, alle Ansprüche in vollen Umfang geltend machen und im Zweifelsfall auch einklagen zu können. Dieser Ratgeber, erstellt in enger Kooperation mit dem Kölner Arbeitslosenzentrum (KALZ), herausgegeben vom DGB und der Verbraucherzentrale NRW, wurde in den zehn Jahren danach mehrfach aktualisiert und erweitert (von 88 über 99 bis zu 111 Tipps) und erreichte Auflagen von mehr als 100.000 Exemplaren. 1991 erschien zudem ein gesonderter Ratgeber für Erwerbslose in Ostdeutschland. Allerdings wurden diese Ratgeber auch von Ministerialbeamten und Gesetzgebern eifrig studiert. Sie schlossen manche Gesetzeslücke, die in den Tipps beschrieben war.
So erwiesen sich in diesem Fall einmal mehr die Grenzen der journalistischen Arbeit. Karl Kraus hat Recht:: »Sozialpolitik ist der verzweifelte Entschluss, an einem Krebskranken eine Hühneraugenoperation vorzunehmen.«

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Inside Out – Rundfunkarbeit

Als die Hans-Böckler-Stiftung bzw. der DGB als Finanzier von Büchern wegfiel, versuchte das RJB, die Arbeit für das Radio auszuweiten. Arbeitete das Kollektiv anfangs fast ausschließlich für den WDR und den SWF, so kamen im Laufe der Jahre die meisten anderen öffentlich-rechtlichen Sender hinzu (DLF, SR, NDR, HR, SFB, RB, DW). Immer noch galt und gilt der inhaltliche Anspruch »Das Mikro denen, die sonst nicht zu Wort kommen«. Im Laufe der Jahre entstanden mehrere Sendungen, die nur aus Collagen von Originaltönen bestanden, etwa über die Begegnung von gewerkschaftlichen Basisgruppen aus den Philippinen und der BRD, über das Schicksal jüdischer Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland in Australien, über Alltagsgeschichte(n) am Beispiel eines Kölner Marktplatzes und über die verdrängte (Kolonial-)Geschichte der Olympiastadt Sydney.
Neben Sendungen zu wirtschafts- und sozialpolitischen Problemen schrieb das RJB stets auch Auslandsreportagen und Radiofeatures über internationalistische Themen. Zusammen mit dem WDR-Redakteur Wolfgang Schmitz suchte das RJB 1983 nach neuen Formen, diese Themen einem breiteren Publikum näher zu bringen. So wurde für die Sendereihe Brummkreisel (WDR 1,Sonntagabend zwischen 20.00 und 22.00 Uhr) eine »Dritte-Welt«-Reihe konzipiert. Alle drei Monate wurden ein Land der »Dritten« Welt und ein Thema der »Nord-Süd-Beziehungen« bei Live-Veranstaltungen vorgestellt. Die Aufzeichnungen wurden später im Studio auf die Sendelänge von 115 Minuten gebracht.
Das RJB übernahm die Aufgabe, diese Veranstaltungen mit Internationalismusgruppen in verschiedenen nordrhein-westfälischen Städten zu entwickeln und mit Wolfgang Schmitz zu moderieren. Die Veranstaltungen in Gasthöfen und Gemeindesälen, Schulen und Kulturzentren waren meist gut besucht. Einmal weil stets Musikgruppen aus den jeweiligen Ländern (von Brasilien bis Kenia) auftraten, aber auch, weil Politiker sich den Fragen des Publikums stellen mussten. Etwa nach dem Export von Rüstungsgütern ins kriegführende Marokko oder von Atomanlagen nach Brasilien, zur Kollaboration bundesdeutscher Unternehmer mit dem Apartheidregime in Südafrika oder zur Beteiligung bundesdeutscher SportlerInnen an den olympischen Sommerspielen im diktatorisch regierten Südkorea. Die beteiligten Initiativen stellten ihre Arbeit und ihre Projekte ausführlich vor: Sei es eine Schulpartnerschaft mit Mosambik, Boykottkampagnen gegen bundesdeutsche Pharmakonzerne oder die Förderung alternativer Energieprojekte im Nicaragua der Sandinisten. Reportagen und Hintergrundrecherchen von JournalistInnen ergänzten die persönlichen Erlebnisse und Einschätzungen der »Dritte-Welt«-Gruppen. Auftritte von Kabarettisten wie Heinrich Pachl, Richard Rogler und Jürgen Becker lockerten die Sendungen auf. Die Brummkreisel gingen fünf Jahre lang vierteljährlich über den Äther.

Die »Dritte-Welt«-Sendereihe für den WDR lieferte die Anregung zur bislang umfangreichsten Publikation des RJB: das 620 Seiten umfassende Buch Hoch die Internationale Solidarität! Zur Geschichte der Dritte-Welt-Bewegung in der Bundesrepublik. Es erschien 1986 und löste eine Debatte über das Auf und Ab der internationalen Solidarität aus (von Algerien über Vietnam bis zu Chile und Nicaragua), die Idealisierung bewaffneter Befreiungskämpfe in der »Dritten Welt« und romantisch verklärte Revolutionsvorstellungen hierzulande, die in dem Buch kritisch reflektiert wurden. Auch wenn Stiftungen und Institutionen dem RJB gelegentlich Zuschüsse zu Auslandsrecherchen und Publikationen über internationalistische Themen gewährt haben, wäre das Buch über die »Dritte Welt«-Bewegung ohne die zeitweise Freistellung und Finanzierung der Autoren durch das Kollektiv ebenso wenig erschienen wie die Bücher Wind, Sand und (Mercedes-)Sterne. Der vergessene Krieg in der Westsahara (1991) und Germans No! Operation Bondoc. Deutsche Entwicklungshilfe zur Aufstandsbekämpfung auf den Philippinen (1995). All diese Publikationen entstanden in Kooperation mit Solidaritätsgruppen, die die Erstellung der Manuskripte auch redaktionell begleiteten. Den Großteil der Kosten trug jedoch das RJB.
1988 stellte der WDR die Live-Veranstaltungen zur Nord-Süd-Problematik ein, und damit verlor das RJB einen festen Sendeplatz. Aus Brummkreisel wurde die Ohrzeit. Waren darin zunächst noch fundierte zweistündige Dokumentationen über »Dritte-Welt«-Themen möglich, so fiel auch dieser Sendeplatz mit der Einführung des »Formatradios« und der Jugendwelle »Eins Live« einer »Programmreform« zum Opfer – wie bald darauf auch der »Samstagabend auf WDR 3«. Inzwischen bietet die ARD keinen Sendeplatz mehr für politische Features von mehr als 60 Minuten Länge. Fast alle Rundfunkanstalten haben Wortsendungen gestrichen oder gekürzt. Ein Sender hat Features zwischenzeitlich ganz abgeschafft.
Das RJB war deshalb im Laufe der neunziger Jahre gezwungen, immer häufiger komplizierte Hintergrundberichte auf kürzeren Sendeplätze unterzubringen. Nur manchmal gelang es, Themen in Serien von 30-Minuten-Features zu realisieren (so mit acht Folgen über Afrikanische Literatur, sechs Folgen über die [Kolonial-]Geschichte Australiens und jeweils drei Folgen über Kultur und Widerstand in Ozeanien sowie über die USA – alle für den SWR).
Die Bindung an politische Initiativen war für das RJB eine gute Medizin gegen journalistische Berufskrankheiten. Zum Beispiel: Überfliegertum, Gleichgültigkeit gegen das scheinbar immer gleiche Elend in der Welt, Zynismus. Für die Mitglieder im RJB ist es bis heute selbstverständlich, in Basisinitiativen tätig zu sein und ihre beruflichen Fähigkeiten und Möglichkeiten dort einzubringen – und durch die praktische Teilhabe die Bedeutung der schreibenden Zunft immer wieder zu relativieren. Die einen engagieren sich in internationalistischen Gruppen und globalisierungskritischen Initiativen, andere in der Flüchtlingsarbeit von kein mensch ist illegal, in den europäischen Sozialforen oder in der alternativen Kulturgruppe FilmInitiativ Köln e.V. Bis heute besteht im RJB Einigkeit darüber, dass die Infrastruktur des gemeinsamen Büros (Telefon, Fax, E-Mail, Internet etc.) auch für die politische Arbeit zur Verfügung steht.

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The Times They Are A-Changin'! – Umzüge und erste personelle Wechsel

Seit der Gründung hat das RJB drei Umzüge und fünf personelle Wechsel erlebt. 1984 zog das RJB aus dem Hinterhof in der Lütticher Straße in einen Hinterhof in der Spichernstraße, gegenüber dem Kölner Stadtgarten, dem Konzertsaal und Café der Kölner Jazzhaus-Initiative. Drei Jahre später schied Rolf Winkel als erster der vier Kollektivgründer aus. Seinen Schreibtisch im RJB übernahm Birgit Morgenrath. Sie hatte nach dem Studium der Germanistik und Politikwissenschaft ebenfalls eine Journalistenausbildung an der Kölner Schule absolviert und dabei auch ein Praktikum im RJB gemacht. Später hatte sie als Mitarbeiterin von Dr. med. Mabuse mit den RJBlern die Räume in der Spichernstraße geteilt und Ende 1983 auch bei einer Brummkreisel-Sendung über die Philippinen mitgewirkt. 1989 gab sie für die inhaltliche und persönliche Freiheit, die sie im Kollektiv zu finden hoffte, ihre Festanstellung als Redakteurin beim WDR auf. Mit ihrem Einstieg wurde der internationalistische Schwerpunkt des RJB ausgebaut. Sie unternahm zahlreiche Recherchereisen ins südliche Afrika und begleitete die politischen Entwicklungen dort publizistisch – von der Zeit des Apartheidregimes bis in die Gegenwart. (Ein Ergebnis ihrer intensiven Beschäftigung mit Südafrika ist das Buch „Deutsches Kapital am Kap“, in dem sie 2003 zusammen mit Gottfried Wellmer die Kollaboration deutscher Unternehmer mit dem Apartheidregime dokumentierte.)
1990 suchten die Fotografen von laif (ehemals ein Kollektiv, heute eine Agentur) MitstreiterInnen zur Realisierung eines großen Büroprojektes in einer ehemaligen Teppichfabrik in der Kölner Südstadt. Außer dem RJB wurde dafür ein Fotofachlabor gewonnen. Vor dem Einzug stand jedoch eine Rundumsanierung des Gebäudes an: In den bis dahin leer stehenden Hallen mussten Mauern versetzt und Emporen eingebaut, Türen und Fenster eingelassen, Heizung und Strom neu installiert werden. Kurzum: Als das RJB einzog, hatte es sich bis zur Schmerzgrenze verschuldet und musste eine seiner ersten sozialpolitischen Extravaganzen – die Einführung der Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich für alle – zurücknehmen. (Seitdem gilt die Vier-Tage-Woche nur noch für Kollektivmitglieder mit Kindern.)
Mit dem Umzug Anfang 1991 hielten erstmals Computer Einzug ins Büro, nachdem die RJBler in den Jahren davor erbittert und höchst ideologisch über die Einführung der elektronischen Textverarbeitung gestritten hatten.

rjb-eingang

Das Rheinische JournalistInnenbüro von 1991 bis 2011
im Hinterhof der Merowingerstr. 5-7 in der Kölner Südstadt.

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(Wo)men at work – Weitere neue MitarbeiterInnen

Nach den Investitionen für den Umbau und die technologische Aufrüstung des neuen Büros in der Merowingerstraße war über einige Jahre nicht daran zu denken, den bescheidenen Einheitslohn aufzustocken. Das brachte vor allem die Familienväter im Kollektiv zunehmend in finanzielle Bedrängnis. Als erster zog Werner Balsen 1993 die Konsequenz, aus dem RJB auszusteigen. Er wurde Redakteur bei der Frankfurter Rundschau. Ein Jahr später zog Hans Nakielski nach und wurde Leiter der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit des Kuratoriums Deutsche Altershilfe.
Für Werner Balsen trat im Juli 1993 Beate (Babu) Hinrichs in das Kollektiv ein. Die gelernte Publizistin und Historikerin hatte das RJB zuvor als Redakteurin und Auftraggeberin in der Deutschen Welle kennen gelernt und erweiterte mit ihren persönlichen Erfahrungen aus dem Libanon und Ägypten das internationalistische Themenspektrum des Kollektivs um den Nahen Osten sowie um Diskussionen über den Islam. Daneben schrieb sie über sozialpolitische Themen wie Armut, Obdachlosigkeit, sexuelle Gewalt gegen Frauen und Kinder, MigrantInnen, Prostitution und Reproduktionsmedizin. Außerdem brachte Babu technische Kompetenzen in das Büro ein, die irreparable Computerabstürze verhinderten, alltägliche PC-Probleme erträglich machten und den Gerätepark des RJB in Schuss hielten.
Beate Hinrichs führte auch Gigi Deppe, die sie aus der Deutschen Welle kannte, Anfang 1994 in das RJB ein. Als Juristin hatte Gigi Deppe zuvor als Korrespondentin beim SDR in Karlsruhe gearbeitet und die Entscheidungen der dort ansässigen Gerichte (Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht) kommentiert. Juristische Themen blieben auch im RJB ihr Arbeitsschwerpunkt, zunächst für den Hörfunk, später auch für das Fernsehen. 1994 war sie an der aktualisierten Neuauflage der Tipps für Arbeitslose beteiligt, und 1997 schrieb sie im Auftrag der Verbraucherzentrale NRW das Buch Weg mit den Schulden. Tipps und Hilfestellungen, um dauerhaft schuldenfrei zu werden.
Anfang 1995 stieß Albrecht Kieser zum RJB. Der diplomierte Sozialwissenschaftler hatte als Lehrer, Dozent, Jugendzentrumsleiter sowie als Werkzeugmacher und Drucker in der Industrie gearbeitet. Das RJB hatte ihn als Mitarbeiter des Kölner Arbeitslosenzentrums kennen gelernt und später für ihn als Redakteur der Kölner StadtRevue Artikel geschrieben, ein politisches Stadtmagazin, das ebenfalls als Kollektiv organisiert ist. Albrecht Kiesers Schwerpunktthema ist die »Dritte Welt« hierzulande: die Lage von Flüchtlingen und illegalisierten MigrantInnen in der Bundesrepublik. Er schrieb Sendungen über rechte Gewalt und staatlichen Rassismus, die Festung Europa und die Abschottungspolitik der Bundesregierung. Über die Auseinandersetzung mit kurdischen Flüchtlingen im Wanderkirchenasyl und die Repression in der Türkei stieß er auch auf den vergessenen Völkermord an den Armeniern und die Lage armenischer Jugendlicher in Deutschland, die er nicht nur in Sendungen, sondern auch in Veranstaltungsreihen publik machte. Als weitere Arbeitsschwerpunkte kamen Themen wie staatliche Repression und globale Landwirtschaft (z.B. agrarische Gentechnik) hinzu.
1995 bestand das Kollektiv damit erstmals aus fünf Mitgliedern, darunter vier ehemaligen Festangestellten und mehrheitlich Frauen. So wurde auch der Name des RJB – politisch korrekt – um das »Innen« ergänzt.

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Satisfaction – Die Verwirklichung kleiner Utopien

Den fünf RJBlerInnen gelang es bis Ende 1996, die Schulden, die durch das neue Domizil und die Ausstattung mit Computern entstanden waren, abzutragen. Zur Belohnung beschlossen sie, nacheinander jeweils drei Monate bezahlt freizunehmen. Jede/r sollte tun und lassen zu können, was jede/r wollte – finanziell abgesichert. Die eine reiste nach Südfrankreich, um ihr Klavierspiel zu perfektionieren, der andere in die Pyrenäen, um an der Universität in Pau sein Französisch aufzubessern, der Dritte nahm sich vor, an dem Roman, der unfertig in seiner Schublade lag, weiterzuarbeiten, die Vierte nutzte die Zeit, nach der Geburt des zweiten Kindes mit der Familie einen langen Urlaub auf Sardinien zu machen, und die Letzte im Bunde verteilte ihre so gewonnene Freizeit auf allerlei kleinere Auszeiten im Verlauf der folgenden Jahre. Mit Beginn des neuen Millenniums konnte dann auch der Einheitslohn leicht aufgebessert werden.

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Return to the future – Milleniumswechsel im RJB

Ende 2000 verabschiedete sich Gigi Deppe aus dem Kollektiv, blieb dem RJB jedoch noch ein weiteres Jahr als Untermieterin treu. Dann kehrte sie nach Karlsruhe zurück, um dort in der Redaktion »Recht und Rechtspolitik« des SWR-Fernsehens zu arbeiten. Weil sich die Restbelegschaft nicht zwischen zwei möglichen Nachfolgern entscheiden konnte und mochte, zogen Anfang 2002 mit Rainer Werning (Spezialgebiet: Südost- und Ostasien) und Gerhard Klas (Spezialgebiet: Weltwirtschaft und Antiglobalisierungsbewegung) gleich zwei Neue ein. Nach einem (Probe-)Jahr zog es Rainer Werning vor, weiter an seinem heimischen Schreibtisch – wenn auch in partieller Zusammenarbeit mit dem RJB – zu arbeiten. Gerhard Klas entschied sich für das Kollektiv, und damit war dessen fünfköpfige Belegschaft Anfang 2003 wieder komplett. Das wurde im Sommer des Jahres auf einem Open-Air-Fest zum 20jährigen Bestehen des Kollektivs im Hof des Bürogebäudes gefeiert. Gerhard Klas hat Sozialarbeit an der Fachhochschule Koblenz studiert und anschließend eine einjährige Umschulung zum Journalisten absolviert. Von 1995 bis 2000 arbeitete er als fest angestellter Redakteur der Sozialistischen Zeitung (SoZ) in Köln. Zum Einstieg ins RJB unternahm er Anfang 2002 – die reisefreudige Tradition des Kollektivs fortsetzend – eine dreimonatige Studienreise nach Tansania. Dort recherchierte er zur Politik internationaler Finanzinstitutionen wie IWF und Weltbank. Die Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Bevölkerung untersuchte er anhand der Privatisierung von Wasserversorgung und Bildungssystem. Zurück in Köln schrieb er im RJB seine ersten Rundfunksendungen zu diesen Themen.
Im November 2002 berichtete er – als teilnehmender Beobachter – vom ersten Europäischen Sozialforum in Florenz. Auch im RJB verfolgt er publizistisch und politisch weiterhin soziale Bewegungen wie Attac, so wie bereits 1997 die Euromärsche von Erwerbslosen in Amsterdam, den Doppelgipfel von EU und G7 1999 in Köln, die Protestaktionen gegen die EU in Nizza und gegen die G7-Staaten in Genua im Jahre 2000. Da er dabei gelegentlich auch ins Visier der Staatsorgane geriet, bescherte er dem Kollektiv gleich zu seinem Einstieg ein bemerkenswertes Gerichtsurteil. Der Hintergrund: Bei den Protesten gegen den EU-Gipfel im Juni 1999 hatten niederländische Erwerbsloseninitiativen die Geschäftsräume der niederländischen Zeit-Arbeitsfirma Randstad in Köln besetzt. Als die Polizei anrückte, wurden auch Gerhard Klas und ein Pressefotograf verhaftet, obwohl sie sich als akkreditierte Journalisten hatten ausweisen können. Die beiden klagten gegen die Kölner Polizei, und im August 2002 musste diese vor Gericht ihr »rechtswidriges Verhalten« eingestehen. Seitdem hängt im RJB die Pressemeldung mit der schönen, weil seltenen Überschrift: »Polizei entschuldigt sich!«. Auch bei den Protesten gegen das Gipfeltreffen in Heiligendamm im Jahre 2008 war Gerhard Klas wieder als Reporter vor Ort.
Darüber hinaus hat er im RJB Indien als Schwerpunkt seiner internationalistischen Berichterstattung gewählt und 2006 in dem Buch „Zwischen Verzweiflung und Widerstand“ indische Stimmen gegen die Globalisierung zu Wort kommen lassen.

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Ten Years After – Das Langzeitprojekt «Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg»

Von den ersten Recherchen bis zur Realisation des umfassendsten Gemeinschaftsprojekts in der Geschichte des Kollektivs dauerte es zehn Jahre. 1996 entstand die Idee, ein vergessenes Kapitel der (Kolonial-)Geschichte aufzuarbeiten: den Einsatz von Soldaten und Ressourcen aus Ländern der Dritten Welt im Zweiten Weltkrieg. Bei Recherchereisen in Afrika, Asien und Ozeanien waren die Mitglieder des RJB immer wieder auf die Bedeutung dieses Themas gestoßen, das von der hiesigen Geschichtsschreibung weitgehend vergessen und verschwiegen wurde. Auch in Literatur und Filmen aus der Dritten Welt fanden sich zahlreiche Hinweise darauf. Deshalb beschloss das Kollektiv, bei Reisen in Länder der Dritten Welt stets auch Interviews mit ehemaligen Kolonialsoldaten und Zeitzeugen aus dem Zweiten Weltkrieg zu sammeln sowie historische Dokumente und Bücher, Fotos und Filme. Ansgar Skriver - damals Redakteur des politischen Features im WDR, zwischenzeitlich bedauerlicherweise verstorben – wollte die Ergebnisse dieser Recherchen in einer Feature-Serie präsentieren. Ab 1997 recherchierten Mitglieder des RJB zum Thema in Afrika (Burkina Faso, Elfenbeinküste, Mali, Senegal, Gambia, Ägypten, Äthiopien, Kenia, Südafrika, Namibia, Botswana), in Asien (Südkorea, Hongkong/Macau, Indonesien, Philippinen), in Ozeanien (Hawaii, Französisch-Polynesien, Fidschi-Inseln, West-Samoa, Salomon-Inseln, Vanuatu, Neu-Kaledonien) und in Australien (zum Kriegsdienst von Aborigines).
Im Laufe der Jahre sammelten sich mehr als 100 Stunden Interviews an und ein großer Büroschrank füllte sich mit historischen Materialien aus mehr als 30 Ländern. Sie belegten, dass es sich nicht um einen Nebenaspekt, sondern um ein zentrales Kapitel der neueren Geschichte handelte. Denn tatsächlich haben mehr Soldaten aus der Dritten Welt am Zweiten Weltkrieg teilgenommen als aus Europa und allein in China kamen darin mehr Menschen um als in Deutschland, Italien und Japan zusammen. Ohne die millionenfachen Einsätze von Kolonialsoldaten wäre die Befreiung der Welt vom deutschen und italienischen Faschismus sowie vom japanischen Großmachtwahn ungleich schwerer gewesen. Allerdings gab es in der Dritten Welt nicht nur Opfer, sondern auch Kollaborateure der faschistischen Achsenmächte, die im Krieg an deren Seite kämpften – von Nordafrika und Palästina über den Irak und Indien bis nach Thailand und Indonesien. Auch darauf wollte das RJB im Rahmen dieses Projektes hinweisen. Drei erste Stundenfeatures über Afrika, Asien und Ozeanien liefen schließlich 2004 in Deutschlandfunk, SWR und WDR. Ein Jahr später folgte eine Serie über „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ in SWR 2 Wissen, ergänzt 2008 um eine weitere über Nazi-Kollaborateure aus der Dritten Welt.
Die Fülle des gesammelten Materials ließ sich letztlich nur in einem Buch darstellen, dessen Publikation jedoch nur mit Hilfe von Zuschüssen möglich war. Über mehrere Jahre hinweg fanden sich jedoch zunächst keine Geldgeber, obwohl das RJB mehrere Dutzend Stiftungen im In- und Ausland um Unterstützung bat. Erst die Stiftung Umwelt und Entwicklung Nordrhein-Westfalen war schließlich 2003 bereit, die Erstellung des Buchs „Unsere Opfer zählen nicht“ – Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg (Hamburg/Berlin 2005) zu ermöglichen. Die Resonanz war erfreulich positiv. 24 Kritiker von TV, Rundfunk und Presse kürten es zum „Buch des Monats Juli“ und die AutorInnen des RJB konnten das Thema auf zahlreichen Veranstaltungen vorstellen, so z.B. bei der Jahrestagung der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) in Hamburg.
(Rezensionen des Buchs finden sich unter:
http://www.assoziation-a.de/rezension/Unsere_Opfer_zaehlen_nicht.htm)
Mit Hilfe der NRW-Stiftung konnten 2008 auch Unterrichtsmaterialien über „Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg“ herausgegeben werden und das RJB setzte das Projekt 2009 mit der Erstellung einer Ausstellung weiter fort. Sie erlebte ihre Premiere im September 2009 in Berlin und tourt bis mindestens 2013/14 in drei verschieden großen Versionen durch zahlreiche deutsche Städte und in der Schweiz – begleitet von Filmen, Referaten und einer Hiphop-Hommage an die vergessenen Kolonialsoldaten. Die englische Übersetzung der Ausstellung (2012) macht auch Präsentationen in anglophonen Ländern wie z.B. Südafrika und Nigeria möglich.
Hintergrundinformationen sowie aktuelle Berichte aus den Ausstellungsorten finden sich auf der 2009 eingerichteten Internetseite: www.3www2.de.

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When I'm Sixty-Four – Die letzten Jahre des Kollektivs

Das Langzeitprojekt über "Die Dritte Welt im Zweiten Weltkrieg" hatte für das RJB verschiedene, auch bedauerliche Folgen. Zum einen waren trotz der Förderungen einige Monate unbezahlter Arbeit nötig, um das Buch fertig stellen zu können. Zum zweiten stieg Beate Hinrichs Mitte 2004 aus dem Kollektiv aus. Der Grund waren inhaltliche Meinungsverschiedenheiten über das Nahost-Kapitel des Buchs (konkret: unterschiedliche Einschätzungen der Nazikollaborateure aus arabischen Ländern). Als das Buch im Frühjahr 2005 endlich vorlag, nahm Karl Rössel eine Auszeit, um sich von den Strapazen zu erholen und mit dem VW-Bus ein Jahr lang durch Europa zu gondeln. Bis zu seiner Rückkehr mussten die verbliebenen drei KollegInnen den Bürobetrieb alleine aufrecht erhalten, was bei sinkenden Rundfunkhonoraren für gleich bleibende Arbeitseinsätze nicht einfach war. Seit Anfang 2007 wieder komplett suchte das RJB jüngere Menschen mit journalistischen und politischen Erfahrungen, die im Kollektiv (mit) arbeiten wollten. Denn es war klar, dass die drei Altgedienten (Birgit, Albrecht und Karl) das RJB in absehbarer Zeit verlassen und von der kollektiv angesparten Rente leben würden. Doch trotz Anzeigen in befreundeten politischen und internationalistischen Publikationen sowie auf Internetseiten der freien Journalistenszene fand sich niemand, der letztlich bereit und in der Lage gewesen wäre, voll in das Kollektiv einzusteigen. Zwar meldeten sich mehrere InteressentInnen, von denen manche auch zeitweise im RJB hospitierten. Aber den einen erschienen die Einnahmen unerreichbar, die jede und jeder monatlich erwirtschaften musste, um den Kollektivbetrieb und die Einheitslöhne finanzieren zu können. Anderen war der politische Anspruch des RJB an die journalistische Arbeit und deren Erdung durch Mitarbeit in Basisinitiativen fremd.
So folgte, was folgen musste: der Entschluss, das RJB nach drei Jahrzehnten journalistischer Arbeit im Kollektiv Anfang 2012 aufzulösen.
Der Grund dafür waren also nicht Unstimmigkeiten oder gar Streit, sondern anstehende persönliche bzw. altersbedingte Veränderungen. So stieg zum Schluss noch eine große, gemeinsam organisierte Abschiedsparty mit fast 200 FreundInnen in der leergeräumten Fabrikhalle in der Kölner Südstadt, in der das RJB seit 1991 gearbeitet hatte. Nach satirischen Abschieds-Reden, politischem Kabarett und pazifischer Live-Musik legte ein DJ auf zum Tanz bis in den frühen Morgen.
(Das Partyprogramm findet sich hier).
Das Fest stand unter dem Motto "Nous ne regrettons rien" und in der Einladung dazu hieß es: "Statt nach und nach auseinander bzw. in Rente zu gehen, haben wir beschlossen, unser Büro lieber so aufzulösen, wie wir über lange Zeit zusammen gearbeitet haben: gemeinsam, in Solidarität und Freundschaft. Wir werden auch in Zukunft miteinander in Kontakt bleiben und auch den von uns gegründeten Verein Recherche International e.V. weiter nutzen, um gemeinsame journalistische Projekte fortzuführen und möglicherweise neue zu realisieren. Das Rheinische JournalistInnenbüro hat uns über fast drei Jahrzehnte ein freies Arbeiten jenseits von Hierarchien und bürokratischen Apparaten ermöglicht. Durch die gegenseitige Rückendeckung im Kollektiv konnten wir journalistische Projekte realisieren, die ansonsten kaum zustande gekommen wären, und darüber hinaus die Infrastruktur unseres Büros zur Unterstützung politischer Basisinitiativen nutzen. Gründe genug, zum Abschied nicht Trauer zu schieben, sondern noch einmal gemeinsam ein rauschendes Fest zu feiern... Wir hoffen, dass die positiven Erfahrungen, die wir über viele Jahre bei der Arbeit im Kollektiv gesammelt haben auch andere dazu anregen, in Zeiten zunehmend prekärer Beschäftigungsverhältnisse solidarische Arbeitsformen auszuprobieren. In diesem Sinne: Für ein freies Leben!"
Nach dem Auszug aus den gemeinsamen Büroräumen folgte im Januar 2012 auch die Auflösung der wirtschaftlichen Gemeinschaft. Die persönlichen Kontakte bestehen fort. Die ehemaligen Mitglieder des RJB treffen sich nicht nur regelmäßig zum Austausch über ihre journalistische und politische Arbeit, sondern sie begegnen sich auch immer wieder bei politischen Aktionen und Veranstaltungen. Als Ex-Mitglieder eines "rheinischen" Kollektivs gehört dazu auch gemeinsames Feiern im Kölner Karneval, wie das nachfolgende Foto dokumentiert. Es entstand am Karnevalsdienstag des Jahres 2012 im "Klosterstüffje", der Kneipe, die seit vielen Jahren ihren Erlös während der Karnevalstage an die Kampagne "Kein Mensch ist illegal" abtritt. Gemeinsam haben die Ex-RJBlerInnen dort um Mitternacht an dem von Trauergesängen begleiteten Umzug teilgenommen, bei dem der "Nubbel" zu Grabe getragen wurde, eine maskierte Strohpuppe, die während des Karnevals über dem Eingang der Kneipe gehangen hatte, um die Sünden der Gäste auf sich zu laden. Um sie davon zu erlösen, muss er - nach altem Kölschem Brauch - in der Nacht zu Aschermittwoch verbrannt werden. Vor der linksradikalen Trauergemeinde des "Klosterstüffjes" ging dies erst nach einer politischen Beerdigungsrede eines leicht angetrunkenen Pastors. Dann sprangen alle über das Feuer und schon waren sie ihrer Sünden ledig – so auch die vier Ehemaligen des Rheinischen JournalistInnenbüros...

Nachrufe zur Auflösung des RJB siehe hier.