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Analysen

Unsere Freunde, die Kollaborateure
Nazi-Sympathisanten in der Dritten Welt und ihre deutschen Apologeten
Von Karl Rössel

Billig, willig und versteckt
Informelle Arbeitsplätze in Deutschland
Von Birgit Morgenrath

Apartheid unter gutem Stern
Deutsche Konzerne wegen Menschenrechtsverletzungen angeklagt
Von Birgit Morgenrath

Der Kampf um die Köpfe
Die Weltinformations-Ordnung und ihre Folgen
von Karl Rössel

 

 

In der Ausgabe Mai/Juni 2009 der Zeitschrift iz3w (Nr. 312) erscheint der Themenschwerpunkt:
Unsere Freunde, die Kollaborateure
Nazi-Sympathisanten in der Dritten Welt und ihre deutschen Apologeten
Von Karl Rössel

Die hiesige eurozentrische Geschichtsschreibung übersieht, dass der Zweite Weltkrieg auch in Ländern der Dritten Welt geführt wurde und dort Millionen Opfer forderte. Ebenso negiert wird die Tatsache, dass in einigen Dritte-Welt-Ländern Teile der Bevölkerung und hochrangige Politiker mit den Nazis kollaborierten. Der Themenschwerpunkt erinnert an diese „faschistische Internationale“ und dokumentiert am Beispiel des Umgangs mit Nazi-Sympathisanten aus Palästina, Indien und Argentinien, wie Wissenschaftler und Publizisten hierzulande Faschisten und Antisemiten als antikolonialen Freiheitshelden präsentieren.
Der Themenschwerpunkt hier als PDF zum Downloaden.

 

 

Billig, willig und versteckt
Informelle Arbeitsplätze in Deutschland
Von Birgit Morgenrath

Halb sieben Uhr morgens, es regnet in Strömen. Immer mehr Lieferwagen biegen in die Straße zu den Messehallen einer westdeutschen Großstadt. Die ersten Menschen hasten zur Arbeit. Langsam beginnt sich das Räderwerk der kolossalen Logistik dieses Ausstellungsbetriebes zu drehen. So wie jeden Tag. Fast unbemerkt haben sich auf einem Parkplatz an der Straße ein paar Gestalten eingefunden. Der Regen tropft in ihre Jacken. Sie frieren und drehen Zigaretten. »Polenstrich« nennen die Ämter diesen inoffiziellen Arbeitsmarkt, auf dem polnische Männer ihre Arbeitskraft feilbieten – für 12 bis 15 Mark Stundenlohn. Cash auf die Hand und meistens schwarz, versteht sich. Die bekommen sie für Schwerstarbeit, solche, »die deutsche Leute nicht machen wollen«, erklärt einer. Zum Beispiel: Auf- und Abbauen der Messestände, Marmorplatten schleppen in einem Steinmetz-Betrieb oder schwere Holzpaletten sortieren: »Im Akkord, 150 Paletten in neun Stunden.« Die vier, die an diesem Morgen zu reden bereit sind, haben alle eine ordentliche Berufsausbildung, etwa als Installateur oder Maler. Sie betonen ihren Fleiß und ihren Arbeitswillen – der ganz im Gegensatz stehe zu den »faulen« deutschen Arbeitslosen. Auch für die Russen und Marokkaner, die vor dem Großmarkt stehen und bereit sind, für sechs Mark Stundenlohn zu schuften, haben sie wenig übrig. »Die machen die Preise kaputt«, schimpfen die Polen.

Globalisierung der Arbeitsmärkte
Das Leben ist eben hart und die Konkurrenz brutal. In Mittel- und Osteuropa hat der Übergang zur kapitalistischen Marktwirtschaft in kürzester Zeit Millionen Menschen in Unsicherheit und Armut gestürzt. Nun machen sich viele auf die Suche nach Lohn und Brot, mit der Vision eines besseren Lebens im goldenen Westen. Ebenso wie die Habenichtse aus den Ländern des Südens, die in ihren Heimatländern Tag für Tag ums schiere Überleben kämpfen, ohne jede Aussicht auf Besserung. Der seit Anfang der 90er Jahre verstärkten Globalisierung der Waren- und Kapitalströme folgt nun die Globalisierung der Arbeitskräfte. Weltweit sind nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation, ILO, allein 42 Millionen legale Wanderarbeiter unterwegs. Zählt man Flüchtlinge und Asylbewerber hinzu, liege die Zahl weit höher. Auf vier Millionen werden die illegalen Migranten und Pendler aus Nicht-EU-Staaten in Europa geschätzt. Sie finden Mittel und Wege, die Festungsmauern Europas zu überwinden und zu den informellen Arbeitsmärkten vorzudringen, und sie akzeptieren alle Bedingungen. Sie besetzen die Nischen, die Einheimische – noch – für unzumutbar halten. Die Berliner Wirtschaftswissenschaftlerin Birgit Mahnkopf nennt als Beispiele Restaurants und Gaststätten, das Hotel- und das Reinigungsgewerbe, die Fischerei und die Landwirtschaft. Überall stellten außereuropäische Arbeitskräfte einen Großteil der Beschäftigten. Männliche Migranten verdingen sich überdies zu Minimallöhnen auf dem Bau (das seit Januar 1997 geltende so genannte »Entsendegesetz« schreibt Mindestlöhne nur für Arbeiter aus EU-Staaten vor). Die Migrantinnen arbeiten vielfach als Hausangestellte, Prostituierte und Kinderfrauen. Diese Arbeiten sind nirgends gemeldet, sie finden »unter der Hand statt«, nach mündlicher Absprache. Und die Arbeitskräfte sind der Willkür ihrer Arbeitgeber ausgeliefert. Die Folgen: Lange Arbeitszeiten, keinerlei Arbeitsschutz und niedrigste Löhne – die Bundesanstalt für Arbeit registrierte 1996 Nettolöhne von 1,09 DM pro Stunde –, um die sie nicht selten noch betrogen werden.
Je schwerer es den Jobsuchenden gemacht wird, Aufenthalts- und Arbeitserlaubnisse zu erhalten und die europäischen Eintrittsbarrieren zu überwinden, um so stärker wird die informelle Wirtschaft ausgeweitet, hat Birgit Mahnkopf beobachtet. Billige Arbeitskräfte seien ein »von den Unternehmen durchaus erwünschter kostenloser ›Zufluss von Humankapital‹«. Selbst mit den schlechtesten Arbeitsbedingungen müssten sich viele abfinden, so Mahnkopf, »weil sie sich wegen drohender Ausweisung oder Abschiebung nicht offiziell beklagen können«.

Informalisierung der Arbeit
Aber auch die einheimischen Arbeitnehmer und vor allem Arbeitnehmerinnen sind immer öfter gezwungen, sich prekären Beschäftigungsbedingungen – tarifvertraglich und somit gewerkschaftlich ungeschützt – zu unterwerfen. Etwa so: In morgendlicher Dunkelheit tragen Hunderte Männer und Frauen Zeitungen aus. Wenig später fährt der Wartungsingenieur los, der als »Sub« eines anderen Subunternehmers Maschinen wartet und repariert, weil das den Hauptauftragnehmer billiger kommt. Sämtliche Betriebskosten trägt der »Sub« selber. Auch für die 60-Stunden-Woche ist er selbst verantwortlich. Unsichtbar für die Öffentlichkeit säubern fleißige Frauen- und Kinderhände in Küchen und Wohnstuben Gummiteile von ihren überstehenden Resten; sie rollen Zigarren oder montieren Elektroteile. Gebracht hat sie der LKW-Fahrer, der sein Brot ebenfalls als »Scheinselbstständiger« verdient. Wenn er in der Raststätte einen Kaffee trinkt, wird er von einer Kellnerin bedient, die hier 14 Stunden die Woche für 610 Mark monatlich arbeitet. An der Theke sitzt auch der Kurier, der für ein paar Mark – ein Teil wird schwarz gezahlt – den ganzen Tag Pakete durch die Lande transportiert: ein komprimiertes Szenario bundesrepublikanischer Arbeitswelten.
Ursprünglich hatten die Ökonomen der ILO den Begriff der informellen Wirtschaft für Straßenverkäuferinnen, Heimarbeiterinnen und Kleinsthandwerker in der »Dritten« Welt entwickelt. Bei 35 Millionen Arbeitslosen in den Industrieländern sprechen Experten aber mittlerweile davon, dass sich die sozialen Krisen in den Industrie- und Entwicklungsländern einander annähern und sich auch auf der Nordhalbkugel der informelle Sektor immer mehr ausbreitet. In diesem Sektor arbeitet, wer eher niedere Tätigkeiten verrichtet und wer von der Hand in den Mund, in steter Unsicherheit und ohne langfristige Existenzsicherung lebt. Diese Arbeit wird von den Behörden nicht registriert, von den Statistiken nicht erfasst und in den Arbeits- und Sozialgesetzen nicht berücksichtigt. Nach Angaben der ILO beschäftigt der informelle Sektor heute weltweit 500 Millionen Menschen – ein Viertel der Welterwerbsbevölkerung.
Was für die Mehrheit der Menschen in den Ländern des Südens lebenslanger bitterer Alltag ist und sie zur Migration treibt, droht nun auch hierzulande alltägliche Realität zu werden. Bislang geregelte Arbeitsverhältnisse werden auf vielfältige Art ausgehöhlt und dereguliert. Immer mehr Arbeitsverträge werden befristet. Dauerbeschäftigte werden durch Leiharbeitnehmer ersetzt, Arbeitsgänge ausgelagert und Vollzeitarbeitende zu Teilzeit genötigt. Zu einem eigenen Arbeitsmarkt hat sich die geringfügige Beschäftigung unterhalb der Sozialversicherungspflicht entwickelt. Insgesamt arbeiten 6,2 Millionen Menschen für nicht mehr als 610 Mark im Monat. Davon haben 3,7 Millionen kein anderes Einkommen. Von diesen wiederum sind zwei Drittel Frauen. Allein im Einzelhandel sind rund 70 Prozent der Verkäuferinnen ohne Sozialversicherung beschäftigt. Einen wahren Boom neuer – vor allem billiger – Arbeitsplätze erwartet die Bundesregierung durch die Telearbeit. Sie schätzt, dass bis zur Jahrtausendwende 800.000 neue Jobs entstehen. Im Marketing, Produktmanagement und in der Kundenberatung, wie es so schön heißt. Selten ist die Rede von den Arbeitsplätzen, die es auch und vor allem geben wird: Frauen, die isoliert vor dem heimischen Computer Adressen eingeben oder andere Daten verwalten und dafür schlecht bezahlt werden.
Birgit Mahnkopf zitiert eine von der bayrischen Landesregierung in Auftrag gegebene Zukunftsstudie, »die für Beginn des dritten Jahrtausends für die Bundesrepublik ermittelte, dass diese Beschäftigungsformen, also diese atypischen, prekären, 50 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung betreffen könnten«. In Großbritannien etwa sei das schon längst der Fall.
Halb elf Uhr abends. Bobby zieht mit seinem Rosenstrauß durch die Restaurants und Kneipen. Vor drei Jahren hat der Inder illegal als Blumenverkäufer angefangen, als er nicht mehr länger von den 80 Mark Sozialhilfe für Asylbewerber leben wollte. Damals hat er als Untergetauchter mit acht anderen in einem Zimmer gewohnt. Inzwischen ist er mit einer Deutschen verheiratet und hat sein Gewerbe angemeldet. Aber rund 600 seiner Landsleute verkaufen weiter illegal, sagt er. Wie er sind sie nach Deutschland gekommen, um der Arbeitslosigkeit zu Hause zu entfliehen – und den Traum zu verwirklichen, von dem sie immer wieder hörten. »Die, die im Ausland waren, konnten sich Häuser bauen, haben Autos gekauft und waren erfolgreich.« Nun arbeitet er jede Nacht. Oft macht er auch durch und geht frühmorgens auf den Blumengroßmarkt, um den Nachschub zu besorgen. So verdient er his zu 100 Mark brutto pro Nacht. Eigentlich ist er stolz auf diese Arbeit. Oft aber fühlt er sich gedemütigt. Zum Beispiel wenn ihm Leute Geld geben und gar keine Blumen, sondern nur ihre Ruhe haben wollen. »Die wollen damit sagen: Du bist ein Scheißausländer, du bist ein Dreck.« Trotzdem zwingt er sich immer, freundlich zu bleiben. Auch gegenüber den vielen Gastwirten und Kellnern, die ihm Blumen quasi als Eintritt ins Lokal abknöpfen. Trotzdem ist diese Arbeit besser als alles andere, was ihm bei der Suche begegnet ist: Vier Mark netto pro Stunde bei einer Zeitarbeitsfirma fürs Schleppen von Bierkästen; Schwarzarbeit als Tellerspüler in Restaurants, Erdbeerernte für sechs Mark netto, ein Teil schwarz bezahlt. Er hat abgelehnt. »Das machen die Polen«, sagt er.

(Printfassung einer Rundfunksendung, publiziert in: metall, Juli 1997)

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Apartheid unter gutem Stern
Deutsche Konzerne wegen Menschenrechtsverletzungen angeklagt
Von Birgit Morgenrath

Am 11. November 2002 hat der US-amerikanische Anwalt Michael Hausfeld im Auftrag der Entschuldungskampagne »Jubilee South Africa« eine Sammelklage gegen 20 US-amerikanische und europäische – darunter fünf deutsche – Unternehmen bei einem New Yorker Gericht eingereicht. Darin werden die Firmen beschuldigt, das Apartheidregime in Südafrika unterstützt und die internationalen Sanktionen und Waffenembargos umgangen zu haben. Auf der Anklagebank sitzen DaimlerChrysler, Rheinmetall, Deutsche Bank, Dresdner Bank und Commerzbank.

Das Büro der Betriebsräte liegt gleich hinter Fabriktor 2 von DaimlerChrysler in einem einstöckigen, farblosen Gebäude. Seit Mercedes sich bei einem südafrikanischen Automobilhersteller in East London Mitte der 60er Jahre einkaufte, ist das Werk der größte Arbeitgeber der südafrikanischen Industrie- und Hafenstadt. Im Betriebsratsbüro telefonieren Arbeiter in Blaumännern; sie diskutieren, scherzen und lachen. »Damals hätten Sie mich nicht hier auf dem Betriebsgelände, sondern nur im Büro der Gewerkschaft in der Stadt interviewen können«, erzählt Mtutuzeli Tom, seit bald 20 Jahren Betriebsrat bei DaimlerChrysler und heute Vorsitzender der mächtigen Metallarbeitergewerkschaft NUMSA. Tom erinnert sich gut an die alltägliche Diskriminierung. Alle Manager, auch die auf den unteren Ebenen, hatten damals das Recht, Arbeiter zu heuern und zu feuern, sagt er. Die Arbeitswoche war 45 Stunden lang, Überstunden wurden zwangsweise angeordnet und miese Löhne waren die Regel. »Weiße waren immer in den höheren Stufen, Schwarze waren immer unten. Wir wussten: Gewisse Dinge waren einfach nicht für uns gedacht.« Zum Beispiel eine gute Ausbildung. Heute lacht der 42-Jährige darüber ein dunkles Lachen.
Damals hat er in der Karosseriewerkstatt gearbeitet. Die Karosserien hingen nicht wie in deutschen Werken seitlich am Montageband, sondern über den Köpfen der Arbeiter. »Wir hatten immer Schnitte in Händen und Beinen und Brandwunden von den Schweißmaschinen«, erinnert sich Mtutuzeli Tom. »Die Funken sprangen von oben in die Overalls. Die waren einteilig, und man brauchte total lange, um sie zu öffnen. Wenn man endlich die verbrannte Körperstelle erreichte, war da ein großes Loch.« Mtutuzeli Tom war einer von 5.000 meist schwarzen Arbeitern bei der DaimlerChrysler Niederlassung, die in jenen Tagen Mercedes Benz South Africa hieß.
Die Tochterfirma des Stuttgarter Konzerns war aber nur eine von 300 deutschen Unternehmen und Banken, die bis Anfang der 90er Jahre mit dem Apartheidregime Geschäfte machten: mit ihm Handel trieben, Darlehen gewährten oder in südafrikanischen Niederlassungen produzierten. Daraus haben sie rund 8,4 Milliarden Mark Gewinn gezogen. Deutsche Geschäftspartner der Machthaber in Pretoria waren Bayer und Hoechst, Siemens, Bosch und AEG, Mannesmann, Krupp, Rheinmetall, MAN, MTU und MBB, die Deutsche Bank, die Dresdner und die Commerzbank, BMW und VW.
Deutsche Unternehmen ließen sich selbst dann noch bereitwillig in das Apartheid-System einbeziehen, als der südafrikanische Präsident Pieter Willem Botha 1980 seine »Totale Strategie« gegen die südafrikanischen Befreiungskämpfer entworfen hatte. Pretoria führte einen verdeckten Krieg gegen die schwarze Bevölkerungsmehrheit, auch in den Nachbarländern Sambia, Namibia und Mosambik. Der allmächtige Sicherheitsrat führte die Schlacht an. Dieses exklusive Kabinett, dem Minister und Vertreter der Sicherheitskräfte und Geheimdienste angehörten, entwickelte sich damals zur eigentlichen Regierungsinstanz, ohne jegliche Legitimierung durch das Parlament. Bis hinunter in die kleinste Stadt hatte der Sicherheitsrat sein Spitzel- und Informantennetz gesponnen. Ein Orwellsches System mit Tausenden von Zuträgern aus Militär, Geheimdiensten, Polizei – und auch aus der Wirtschaft. Das so genannte »National Security Management System« hatte seine Augen und Ohren überall. In über 400 regionalen und lokalen »Joint Management Centres« hatte das Regime sein Frühwarnsystem gegen die schwarze Opposition installiert.
Mtutuzeli Tom erinnert sich an Spitzel bei Mercedes-Benz. Zum Beispiel auf Betriebsversammlungen in der schäbigen, dunklen Halle, wenn die Kollegen vor ihm auf den quietschenden Plastikstühlen aufmerksam zuhörten, was die Vertrauensleute zu berichten hatten. Etwa über die Verhandlungen mit der Geschäftsleitung oder über bessere Löhne für die schwarzen Arbeiter. Nebenbei konnte es auch um den nächsten Streik gehen, allerdings nur in einer Art Geheimsprache. »Wir haben unsere Worte genau gewählt«, erzählt der Betriebsrat, »weil ausgebildete Spione unter den Arbeitern saßen, die zwischen den Zeilen lesen konnten. Leute, die für den Geheimdienst arbeiteten. Wir kannten die.« Sie hätten ihn an seinem Jargon als Oppositionellen von ANC, Gewerkschaft oder Kommunistischer Partei identifiziert. Also benutzten die Betriebsräte entweder die einheimische afrikanische Sprache oder rätselhafte Bilder, die nicht leicht zu entschlüsseln waren. »Dann mussten die zwei Tage lang tüfteln, was wir geplant hatten!«, freut sich Mtutuzeli Tom noch heute über den Trick. Schließlich saßen die Spitzel auch neben ihnen in der gleichen Kantine. »Diese Typen waren von der Polizei und der Armee dafür ausgebildet, uns auf die Spur zu kommen.«
Es wurde viel gestreikt in jenen Jahren: für Versammlungsfreiheit und Tarifautonomie, für bessere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen, für Sozialismus und gegen Ausbeutung, aber auch immer wieder für die politischen Rechte der Schwarzen und gegen ein Regime, das mit Ausnahmezustand, willkürlichen Massenverhaftungen und Verbannungen regierte. Oft waren »die Typen von der Armee und Polizei« auch erfolgreich. Dann schickten sie ihre Truppen in die Wohngebiete der Schwarzen, in die Townships. Zum Beispiel ins 50 Kilometer entfernte Mdantsane, wo damals 2.000 Mercedes-Arbeiter in winzigen Häuschen lebten, zumeist mit der Großfamilie, in bitterer Armut. Auch in Mdantsane gab es, wie überall im Land, organisierte Proteste, zum Beispiel gegen hohe Mieten und Fahrpreise sowie Schulboykotte gegen die miserable Ausbildung für schwarze Kinder. Bei den Auseinandersetzungen mit der Polizei trafen die Gewerkschafter von Mercedes-Benz auf bekannte Gesichter, wie Champ, ein anderer Benz-Betriebsrat berichtet: »Es gab Manager, die trugen tagsüber schöne Anzüge mit Krawatte und nachts zogen sie Tarnanzüge an und schossen auf unbewaffnete Jugendliche, auf alte Leute, ja sogar auf kleine Kinder und töteten sie. Sie machten Razzien von Tür zu Tür; es gab ja großen Widerstand damals. Und wir hörten, wie die Reservisten in der Firma am nächsten Tag jubelten: 'Wir haben viele Kaffern erschossen! Wir haben unseren Spaß gehabt.'« Champ schätzt, dass ungefähr 20 bis 30 Mercedes-Mitarbeiter, allesamt Weiße, in ihrer Freizeit als Polizisten zum Einsatz in die Townships fuhren. Champ war ausgebildeter Untergrundkämpfer. Er führte im Betrieb die Untergrundzellen von Umkontho we Ziswe, dem bewaffneten Arm der Befreiungsbewegung, dem Speer der Nation. Arbeiter wurden auch auf dem Firmengelände verhaftet, sagt er, und viele Informationen seien an die Polizei rausgegangen: »Achtet auf Mr. X, der ist ein Anführer, der trägt das Banner, der führt die Proteste in der Firma an. Die Unternehmensleitung wusste genau, wer wer war. Und wer zu den rechtsextremen Weißen, zu den Schlächtern nachts gehörte, das wussten die auch.«
Wenn Untergrundkämpfer verhaftet wurden, fragten die Folterer in der Polizeistation auch nach den Streikaktionen. Folter war ein Teil seines Lebens, erzählt Mtutuzeli Tom. »Wir wurden extrem erniedrigt, entmenschlicht – man hat uns nackt ausgezogen, kaltes Wasser über den Kopf geschüttet, die Hände auf dem Rücken gefesselt, den Ventilator angeschaltet, so dass man anfing zu zittern. Und dann stellten sie die Fragen.« Wieder lacht der Gewerkschafter sein dunkles Lachen.
Es gab drei Ebenen des security establishments, erklärt er weiter. Am Produktionsband hätten Tag für Tag die weißen Aufseher und Vorarbeiter gestanden, um ihre schwarzen Untergebenen auszuhorchen. Im mittleren Management seien die Polizeireservisten zu finden gewesen, einige von ihnen in der Personalabteilung. Den internen Sicherheitsdienst schließlich hätten auf höchster Ebene Männern mit dubioser Vergangenheit geleitet. Diese Mercedes-Angestellten waren, so Tom, in der ehemaligen britischen Kolonie Rhodesien als Selous Scouts im Einsatz gewesen, einer Truppe von 420 britischen und US-amerikanischen Söldnern und Überläufern aus der Befreiungsbewegung, überaus hart trainiert, überaus erfolgreich im Kampf gegen die Guerilla – und berühmt-berüchtigt wegen ihrer grausamen Kriegsführung. Sie sollen zahllose Befreiungskämpfer brutal ermordet haben. Auch wehrlose Flüchtlinge, Frauen und Kinder, die in Massengräbern verscharrt wurden. Viele Scouts hatten das Land verlassen, als Rhodesien 1980 frei wurde. Sie dienten zunächst in der südafrikanischen Armee, wurden aber als britische Soldaten von ihren burischen Kameraden schlecht gelitten und suchten sich andere Betätigungsfelder. »Diese Leute hatten mit der südafrikanischen Armee in Rhodesien kollaboriert«, sagt Tom. »Die gaben in ihrer neuen strategischen Position im Unternehmen natürlich nicht ihre Beziehungen zum südafrikanischen Sicherheitsapparat auf, die waren schließlich ihre Kumpel im Busch gewesen.« DaimlerChrysler meint auf Anfrage: »Soviel wir wissen, hat es keine Anwerbungen von Selous Scouts gegeben.«
Unstrittig ist dagegen, dass Mike Lindley, ein ehemaliger Top-Mann bei Mercedes-Benz, ebenfalls aus dem ehemaligen Rhodesien kam, wo er als hoher Polizeioffizier bei der »British South African Police«, der rhodesischen Polizei, gedient hatte. Sein oberster Chef, Christoph Köpke, bestätigt das. »Klar hatte der Kontakte zur südafrikanischen Polizei.« Der DaimlerChrysler-Chef ist deutschstämmiger Südafrikaner und hat Anfang der 70er Jahre als Sachbearbeiter im Unternehmen angefangen. Zwischenzeitlich war er Manager bei Porsche und Jaguar in Südafrika. Seit 1989 steht er an der Spitze der südafrikanischen Daimler-Niederlassung und gilt auch bei der Gewerkschaft als guter Sozialpartner. Er steht für den Ausgleich zwischen Schwarz und Weiß und sorgte für Wohnungsbau- sowie Ausbildungsprogramme zugunsten der Mitarbeiter. Trotz seiner langjährigen Mitarbeit im Konzern will aber auch er nichts von einer Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Sicherheitskräften gewusst haben. »Ich bin sicher, dass die Geheimpolizei, so wie sie damals gearbeitet hat, bei uns Spitzel hatte. Das würde ich unterschreiben. Aber dass das Unternehmen eine Zusammenarbeit hatte mit der Geheimpolizei oder innerhalb des Unternehmens, ich würde schwören, davon habe ich nie gehört.«
Mtutuzeli Tom dagegen ist überzeugt: »Die im Management wussten das sehr gut, dass diese Typen Teil der Sicherheitskräfte waren. Das können sie nicht leugnen. Wozu? Die Verbindungen zwischen Management und den Sicherheitskräften waren doch absichtlich nicht formell!«
Widerspruchslos hat die Geschäftsleitung auch drei Jahre Gehalt bezahlt, wenn junge Weiße als Rekruten der Armee in Namibia »eingesetzt« waren. »Sie sagen, sie haben die Gesetze befolgt«, meint Tom. »Wir sagen, sie haben auf Frauen und Kinder geschossen, das waren Menschenrechtsverletzungen!« Übrigens geschah dies alles unter der Führung von Jürgen Schrempp, der Mercedes-Benz Südafrika zwölf Jahre, von 1974 bis 1986, leitete.
Bereits 1978 hatte Daimler-Benz eine Lizenz für Dieselmotoren an die halbstaatliche südafrikanische Firma Atlantis Diesel, ADE, vergeben. Außerdem war der Konzern mit rund zwölf Prozent an der Firma beteiligt – an einem Unternehmen, das in Monopolstellung Daimler-Motoren für schwere und schwerste Nutzfahrzeuge fertigte; an einem Unternehmen, das durch Schutzzölle von ausländischer Konkurrenz abgeschirmt war und das sich fast die Hälfte der Ausbildungs- und Lohnkosten von der südafrikanischen Regierung bezahlen ließ. Mit ADE eroberte Daimler-Benz den südafrikanischen Markt. 1984 hatten Daimlers Dieselmotoren einen Marktanteil von 80 Prozent. Das Regime in Pretoria unterstützte das Monopol, weil es von Importen unabhängig werden wollte. Denn die Vereinten Nationen hatten bereits 1977 ein Rüstungsembargo gegen den Apartheidstaat beschlossen. Mercedes-Benz fühlte sich offenbar nicht daran gebunden. Der deutsche Automobilkonzern verdiente aber nicht nur über die ADE-Motorenlizenz mit am Unterdrückungsapparat. Armeefahrzeuge von Mercedes wurden zum Beispiel in den Werkstätten in Johannesburg im Norden repariert, und in Pinetown im Südosten des Landes wurden Autoteile aus Deutschland angeliefert und weiter im ganzen Land verteilt.
In der riesigen Lagerhalle in Pinetown kurven Gabelstapler über die breiten Straßen, fahren hier und da ihre Gabeln nach oben aus, um in den oberen Etagen Einzelteile abzugreifen. An einer Wand der Halle führt eine Treppe hinauf ins kleine Betriebsratsbüro. Aus den Fenstern kann man auf die Kollegen hinunterschauen. Einige ehemalige Betriebsräte haben sich vor die Plakatwand gesetzt; da recken südafrikanische Arbeiter auf rot-gelbem Grund immer noch siegessicher die Fäuste in den Himmel. Henry van Wyk, ein altgedienter Vertrauensmann, hat in den 80er Jahren den Kampf der Gewerkschaft gegen das Rassisten-Regime und gegen das Mercedes-Management angeführt. Erst Mitte der 80er Jahre haben sie realisiert, dass Mercedes Autoteile an die Armee lieferte, erzählt er. »Wir erkannten die Teile an den Armeefarben und den Computer-Codes für die Adressen der Empfänger. Einige wurden sogar mit der Hand geschrieben.« Ein Kollege erinnert sich, dass ein Arbeiter die Teile zum Armeestützpunkt Jacobs fuhr und dort auspackte. »Mercedes bezahlte ihn dafür, dass er für das Militär arbeitete.«
Bis 1985 sollen zwischen 2.500 und 6.000 Unimogs nach Südafrika geliefert worden sein, einige davon in Bausätze zerlegt. Die Geschäftsleitung bleibt bis heute dabei, diese Unimogs seien aus dem normalen zivilen Programm gewesen. Auch bestreitet der DaimlerChrysler-Konzern, dass Unimogs in mehrfacher Weise umgerüstet wurden, etwa zum gepanzerten Mannschaftstransporter Buffel oder als Unterbau für den Raketenwerfer Valkiri. Mercedes-Chef Christoph Köpke leugnet heute nicht mehr, dass Daimler in Johannesburg unter anderem Motoren und Achsen der Armeefahrzeuge repariert und Unimogs an die südafrikanische Armee geliefert hat.
»Wer hat ein' Vorteil aus dem Apartheidsystem gehabt und wer nicht?« fragt er. »Wir haben Unimogs an alle Welt geliefert. Wir hatten keinen Sondervorteil daraus, dass wir Unimogs nach Südafrika lieferten. Auch ADE war ja ein öffentliches Ausschreiben. Es ist ja nicht so, als wenn Daimler da im Alleingang gegangen ist.«
Wohl wahr: Auch viele weitere deutsche Unternehmen haben ihre Geschäfte ungerührt fortgesetzt, während andere europäische und US-amerikanische Firmen den nationalen und internationalen Sanktionsbeschlüssen folgten. Mitte 1987 haben sich zum Beispiel über 100 US-amerikanische Firmen aus Südafrika zurückgezogen. Deutsche Unternehmen dagegen weiteten ihren Handel aus und erhöhten ihre Investitionen. Deutsche Unternehmen rüsteten das rassistische Regime in Südafrika weiter hauptsächlich mit Fabrikations- und Maschinenanlagen aus. AEG etwa lieferte Fördermaschinen für den Bergbau, die Deutsche Babcock Dampfkessel für SASOL, eine Anlage, mit deren Hilfe Öl aus verflüssigter Kohle gewonnen wird. Bosch schickte Einspritzpumpen an den Dieselmotoren-Hersteller ADE, Krupp lieferte an den Stahlkonzern ISCOR, Ferrostahl an den Stromkonzern ESKOM, Feldmühle an Zulieferer des Rüstungskonzerns ARMSCOR. Um nur einige der über 300 deutschen Unternehmen zu nennen. SASOL, ADE, ISCOR, ESKOM und ARMSCOR waren allesamt halbstaatliche, strategisch wichtige Monopolunternehmen, die das südafrikanische Regime am Leben hielten: mit Gold und Kohle, mit Energie und Stahl, mit Transportmitteln und Waffen.
Der bundesdeutsche Staat hat die Lieferungen deutscher Unternehmen mit Hermes-Bürgschaften abgesichert. Der Umfang solcher Bürgschaften stieg von 2,3 Milliarden DM im Jahr 1976 auf sieben Milliarden DM 1994. Auch deutsche Banken waren an solchen Außenhandelskrediten führend beteiligt. Nicht zu vergessen: Deutsche Firmen trugen auch dazu bei, dass Südafrika zur Atommacht heranwuchs. Siemens und andere sollen das in Deutschland entwickelte Trenndüsenverfahren zur Gewinnung hochangereicherten Urans für die Verwendung in Atombomben geliefert haben.
Die ausländische Unterstützung für das Apartheidregime konnte den massenhaften Widerstand der schwarzen Bevölkerung nicht aufhalten. Das Regime blähte seinen Militär- und Repressionsapparat immer weiter auf – die Kosten finanzierte es mit Krediten. Südafrika lebte auf Pump – und musste 1985 ein Teilmoratorium bei der Rückzahlung seiner Auslandsschulden erklären. Damit war der Zugang zu den internationalen Kapital- und Kreditmärkten verschlossen. Deutsche Banken sprangen bereitwillig ein und organisierten die dann folgenden internationalen Umschuldungsverhandlungen an herausragender Stelle, so die Deutsche Bank, die Dresdner Bank und die Commerzbank. 1993 betrug die Gesamtschuld Südafrikas gegenüber der Bundesrepublik 7,4 Milliarden DM. »Die deutschen Banken haben ganz klar den Apartheidstaat finanziert«, sagt Neville Gabriel, Theologe und Vertreter der Entschuldungskampagne Jubilee South Africa.
Auch die Studie Apartheidschulden. Der Anteil Deutschlands und der Schweiz von 1999 belegt: »Deutsches Kapital ist mit seinem Anspruch auf 27,3 Prozent aller Auslandsschulden des öffentlichen Sektors des Apartheidsystems der weltweit wichtigste Direkt-Finanzier der Apartheid gewesen. Im internationalen Vergleich hat deutsches Kapital in herausragender Weise den Apartheidstaat direkt, ebenso wie die strategisch wichtigen Staatskonzerne der Apartheid mit Finanzkapital bedient.« So haben etwa die Deutsche Bank, die Dresdner Bank und die Commerzbank, die Westdeutsche Landes- und die Bayerische Vereinsbank zwischen einem und zwei Dritteln ihres Kreditvolumens an den staatlichen südafrikanischen Stromkonzern ESKOM vergeben. Darum beruft sich die Entschuldungskampagne auf die Doktrin der so genannten odious debt, der sittenwidrigen oder verabscheuungswürdigen Schulden. Illegitim seien solche Schulden. »Wir sagen, Südafrika sollte nicht verpflichtet sein, die Schulden des Apartheidstaates, die in erster Linie gegen die südafrikanische Bevölkerung für Apartheid benutzt wurden und darum verabscheuungswürdig sind, zurückzuzahlen.«
Drei Jahre lang versuchten die Südafrikaner und ihre Unterstützer in den USA, in Deutschland und der Schweiz mit Unternehmen und Banken über Entschuldung und Entschädigung ins Gespräch zu kommen. Sie stießen nur auf taube Ohren. In Stellungnahmen betonte die Commerzbank, sie habe sich lediglich in der Export- und Importfinanzierung engagiert. Die Deutsche Bank vertritt den klassischen Standpunkt der Wirtschaft, sie habe sich an deutsches Recht und Gesetz gehalten. Die Dresdner Bank stellte im April 2002 eine interne Überprüfung ihrer Geschäftspolitik in Aussicht. »Wir müssen über eine neue Ethik und Wertebasis der Wirtschaft sprechen«, fordert Neville Gabriel. Wirtschaft und Politik legitimierten sich gegenseitig. »Wir reden doch über Gerechtigkeit und über menschliche Beziehungen. Wirtschaft ist nichts anderes als menschliche Beziehungen, gemessen in ökonomischen Kategorien.«
Anfang November 2002 reichte der Washingtoner Anwalt Michael Hausfeld bei einem New Yorker Gericht Klage gegen Unternehmen ein, die das Apartheidsystem unterstützten oder ihm gar Vorschub leisteten. Unter den Beschuldigten sind nicht nur acht Banken, darunter fünf deutsche, sondern auch IBM, dessen Computer bei der Herstellung der verhassten Passbücher für Schwarze halfen. Auch die Ölkonzerne Shell, Fina, Caltex und Exxon stehen auf der Liste der Beklagten. DaimlerChrysler werden unter anderem die Lieferungen von Unimogs vorgeworfen. Hausfeld will nachweisen, dass die Unimogs dem südafrikanischen Rüstungskonzern ARMSCOR als Ausgangsmodell für Truppentransporter oder als Unterbau für Raketenwerfer dienten. Außerdem, so die Kläger, seien seinerzeit in großem Maßstab Militärlastwagen in den Johannesburger Benz-Werkstätten repariert worden.
Die Anzeige im Namen von über 80 Klägern der Khulumani-Selbsthilfegruppe (Khulumani auf Zulu: »Sprich es aus«) richtet sich auch gegen den Rüstungskonzern Rheinmetall. Über eine Briefkastenfirma in Paraguay lieferte der Konzern 1978 eine komplette Munitionsfüllanlage nach Südafrika – über den brasilianischen Freihafen Paranagua. Wegen dieser unerlaubten Waffengeschäfte wurden vier Rheinmetall-Manager 1986, im ersten Prozess gegen einen Rüstungskonzern nach dem Zweiten Weltkrieg, rechtskräftig verurteilt. Auch der Schweizer Waffenfabrikant Dieter Bührle wurde schon 1970 rechtskräftig verurteilt. Seine Firma hatte allein zwischen 1965 und 1968 Flugabwehrgeschütze im Wert von rund 89 Millionen Schweizer Franken nach Südafrika geliefert. Unter Umgehung des UN-Embargos wurden die »Endverbraucher-Erklärungen« gefälscht. Seit 1999 gehört Bührles Nachfolgefirma Oerlikon-Contraves zu Rheinmetall. Auch nach seiner Verurteilung meldete Bührle zahlreiche Patente zur Herstellung von Munition und Waffensystemen in Südafrika an, in Vorbereitung von Kooperationsabkommen mit dem südafrikanischen Waffenkonzern ARMSCOR und dessen Tochterfirmen und Zulieferern.
Die Liste der Beklagten kann sich, so Hausfeld, noch auf 100 Unternehmen erhöhen. Bereits im Juni hatte der Hausfeld-Konkurrent Ed Fagan eine ähnliche Klage gegen US-Firmen und Banken sowie gegen die Deutsche, die Dresdner und die Commerzbank eingereicht. Bislang hat das Gericht in Manhattan diese Sammelklage jedoch nicht angenommen. Fagan und Hausfeld betreten auch im US-Recht Neuland, denn erst zum dritten Mal stehen Wirtschaftsunternehmen wegen Verbrechen gegen die Menschheit vor Gericht. Hausfeld argumentiert, dass die ausländischen Unternehmen mit ihrer Unterstützung der wirtschaftlichen Schlüsselsektoren wie Bergbau, Transport, Rüstung, Technologie, Öl und Finanzen dem Regime nicht nur »behilflich« waren, sondern dass es ohne die integrierte Teilhabe der ausländischen Wirtschaft Apartheid nicht in gleicher Weise gegeben hätte.
Nach US-Recht werde es möglich sein, die Firmenarchive einzusehen, erklärt Gottfried Wellmer, Journalist und Mitarbeiter von Jubilee South Africa, trotzdem seien die Erfolgsaussichten für die Klage der Südafrikaner recht ungewiss. Die ersten beiden Klagen gegen eine Unterstützung von Menschenrechtsverletzungen durch Konzerne (Shell in Nigeria und Unocal in Myanmar) seien noch nicht entschieden. Immerhin wurde die Berufungsklage gegen Unocal kürzlich zugelassen. Die Hausfeld-Anwälte halten dies für ein gutes Zeichen.
Khulumani fordert, dass die Banken und Konzerne sich zu dem von ihnen begangenen Unrecht bekennen. Außerdem verlangt die Gruppe individuelle Entschädigungen für die 80 Kläger, Reparationen für die Organisation und ihre rund 33.000 Mitglieder sowie einen internationalen Schuldenerlass. Die deutschen Unternehmen haben sich bisher nicht zu der Klage geäußert.
Der Friedensnobelpreisträger und Vorsitzende der südafrikanischen Wahrheitskommission, Erzbischof Desmond Tutu, kommentierte die ersten Sammelklagen im Juli 2002 in der südafrikanischen Presse: »Sie sagten: Geschäft ist Geschäft. Redet mit uns nicht über Moral. Sie hätten wohl auch Geschäfte mit dem Teufel gemacht. Alle Unternehmen, die mit dem Apartheidregime Geschäfte gemacht haben, müssen wissen, dass sie in der Schusslinie stehen. Sie müssen zahlen, sie können das leisten. Und sie sollten es mit Würde tun.«

(Geschrieben Ende 2002 für epd-Entwicklungspolitik. Birgit Morgenrath publizierte 2003 zusammen mit Gottfried Wellmer in der Edition Nautilus das Buch „Deutsches Kapital am Kap“ über die Kollaboration deutscher Firmen mit dem Apartheidregime in Südafrika.)

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Der Kampf um die Köpfe
Die Weltinformations-Ordnung und ihre Folgen
von Karl Rössel

Die Kunst der Erinnerung
Unter der Überschrift „11. September - Die Kunst der Erinnerung“ platzierte der Kölner Stadt-Anzeiger „ein halbes Jahr nach dem schwarzen Dienstag, als in den USA der Terror explodierte“ einen fünfspaltigen Leitartikel auf der Titelseite. Danach stand „auf der Agenda des Erinnerns“ in New York, „zwei Lichtsäulen an der Stelle“ aufflammen zu lassen, “wo einst die Zwillingstürme des World Trade Centers standen. Sie... lassen die Botschaft leuchten, dass die Opfer nicht vergessen werden sollen.“ (KSTA, 12.3.2002) Wie sang und klanglos dagegen Opfer in anderen Teilen der Welt vergessen werden, belegte eine Kurzmeldung auf Seite 6 derselben Ausgabe des Kölner Stadt-Anzeigers, wonach „im seit 19 Jahren dauernden Bürgerkrieg im Sudan... Regierung und Rebellen aufeinander zugegangen“ seien, und ein Abkommen „zum Schutz der Zivilbevölkerung“ unterzeichnet hätten. Als Erläuterung, warum dieses notwendig war, folgen dann noch die zwei Sätze: „Im Sudan herrscht seit 1983 ein Bürgerkrieg zwischen der Regierung im islamisch dominierten Norden und Rebellen aus dem christlich geprägten Süden. Dabei sind zwei Millionen Menschen getötet worden.“ Anders als bei den 3000 Opfern in New York verschwendet der Kölner Stadt-Anzeiger keinen einzigen Gedanken daran, welcher „Kunst der Erinnerung“ es bei den zwei Millionen toten Afrikanern bedürfte, um ihr Opfer vor dem Vergessen zu bewahren. Im Gegenteil: Ihr Tod ist nur eine Kurzmeldung wert, die so klingt, als handele es sich um eine Information wie jede andere.
Diese Obszönität bei der Gewichtung von Nachrichten ist in den hiesigen Medien die alltägliche, kaum noch bemerkte Praxis. Welche Folgen sie hat, offenbarte die Medienkampagne um den 11. September 2001. So mobilisierte die CNN-Endlosschleife von den einstürzenden Neubauten in New York allein in Köln 30.000 Deutsche an der Seite des CDU-Oberbürgermeisters Fritz Schramma zu einer „spontanen Demonstration des Mitgefühls“. Welche suggestive Macht die rund um die Uhr gesendeten Fernsehbilder aus New York hatten, zeigten auch die - mit Zustimmung der Gewerkschaften - abgehaltenen Schweigeminuten in den Betrieben und die vor Fußballspielen, die Absage eines Formel 1-Rennens sowie die Absetzung von Konzerten, Filmen und Theaterstücken, die der medial geschürten Trauerstimmung nicht entsprachen. Kaum jemand murrte darüber, vielmehr beteiligten sich an den unzähligen Gedenkveranstaltungen und Gottesdiensten Hunderttausende, die ansonsten noch nie ihr Abendessen unterbrochen haben, wenn in den Fernsehnachrichten von Terroropfern, Massakern und Kriegstoten in Ländern wie Ruanda, Ost-Timor oder Kolumbien die Rede war. Massenhaftes Sterben in der sogenannten „Dritten“ Welt veranlasst hierzulande kaum jemanden, auch nur eine Kerze aufzustellen, geschweige denn „Lichtsäulen der Erinnerung“ zu installieren. Die wenigen Ausnahmen - wie das „Africa Aid“-Konzert in London und das deutsche TV-Spektakel „Eine Welt für Alle“ - bestätigten nur die Regel, zumal es sich dabei um kommerziell inszenierte Veranstaltungen handelte, bei denen nicht einmal ansatzweise die Mitverantwortung des Nordens für die Verelendung und die Kriege im Süden thematisiert wurde. Kein Wunder, gehörten doch zu den Sponsoren dieser Medienevents Banken und Konzerne wie die Bayrische Hypothekenbank und VW, die von der herrschenden Welt(un)ordnung profitieren.
Opfer von Kriegen und Verelendung müssen schon über einen US-amerikanischen oder europäischen Pass verfügen, damit die Medien ein größeres Aufheben um ihr Schicksal machen. So schwärmten gleich Dutzende ahnungslose Reporter aus, als auf der abgelegenen Insel Jolo im Süden der Philippinen im April 2000 ein paar Deutsche in Geiselhaft geraten waren. Als jedoch die US-Streitkräfte Anfang 2002 genau dort die „zweite Front“ ihres „internationalen Krieg gegen den Terrorismus“ eröffneten, um die die Organisation der Geiselnehmer, die Abu Sayyaf, zu zerschlagen, interessierte sich niemand mehr für die Region. Schließlich waren die gekidnappten Deutschen seit langem frei und heute sterben dort „nur“ Filipinos.
Schon in seiner ersten Stellungnahme nach dem Anschlägen in New York erinnerte Eduardo Galeano daran, dass auf den Tag genau 28 Jahre zuvor, am 11. September 1973, der unter US-Regie inszenierte Militärputsch in Chile stattfand, und dass diesem „Staatsterrorismus“ der demokratisch gewählte Präsident des Landes, Salvador Allende, und 20.000 seiner Anhänger zum Opfer fielen. Auch in Guatemala seien „200.000 Menschen..., in ihrer Mehrheit Indios, ausgerottet“ worden, „ohne dass jemals das Fernsehen oder die Weltpresse die Aufmerksamkeit darauf gelenkt hätten“. (SOZ 11.10.2001) Aber im medialen Overkill nach dem Einsturz des World Trade Centers gerieten US-kritische Anmerkungen wie diese allenfalls zufällig in die hiesigen Fernseh- und Rundfunkprogramme. So auch die von Wole Soyinka, Literaturnobelpreisträger aus Nigera. Vom WDR eingeladen sollte er im September 2001 in einem „Funkhausgespräch“ sein neues Buch „Die Last des Erinnerns“ vorstellen. Es trägt den Untertitel „Was Europa Afrika schuldet - und was Afrika sich selbst schuldet“. (Patmos-Verlag, Düsseldorf 2001) Soyinka setzt sich darin mit den Folgen der Jahrhunderte langen Kolonialherrschaft und des Sklavenhandels in Afrika auseinander und mit den Forderungen afrikanischer Intellektueller nach „Wiedergutmachung“ und „Reparationszahlungen“ für diese christlich-europäische Form des Terrorismus. Aber drei Tage nach den Anschlägen in New York musste auch Soyinka, bevor er über die Erinnerung an die Millionen afrikanischen Opfer der europäischen Kolonialherrschaft sprechen konnte, erst einmal zu der These der WDR-Moderatorin Stellung nehmen, dass die „furchtbaren Verbrechen... vom 11. September 2001 fraglos für unzählige Menschen eine Erinnerungslast mit noch nicht absehbaren Folgen“ erzeugt hätten. Gefragt nach seinen „ersten Reaktionen... nach dem Schock“ entgegnete der nigerianische Schriftsteller, er müsse zur Beantwortung auch dieser Frage müsse die Vergangenheit bemühen, um „der Kontinuität der Ereignisse“ gerecht zu werden: „Ich habe sofort an die Bombenanschläge auf die US-Botschaften in Tansania und Kenia gedacht und an das bewusst in Kauf genommene Massaker an den Kenianern und Tansaniern, die dabei umkamen.“ Seine Reaktion sei damals genau so gewesen wie nach den Berichten aus New York, denn auch bei den Anschlägen in Afrika seien „zahlreiche unschuldige Menschen ermordet und verstümmelt worden“. Darüber hinaus habe er an die Passagiere des UTA-Fluges denken müssen, die vor Jahren auf dem Weg von Nairobi nach Westafrika bei einem Anschlag umkamen. Allerdings habe der Tod dieser Afrikaner weltweit weitaus weniger Beachtung gefunden als die Explosion des Pan-Am-Flugzeuges über dem schottischen Lockerbie kurz danach: „Die afrikanischen Opfer wurden schlichtweg vergessen.“
Ein Grund für diese selektive, von Herkunft und Hautfarbe abhängige Wahrnehmung von Opfern aus der „Dritten“ Welt ist, dass auch die gesellschaftliche Realität, aus der sie stammen, in den hiesigen Medien kaum vorkommt. Zwar sind heute detaillierte Informationen und fundierte politische Analysen aus aller Welt verfügbar, aber im medialen Mainstream tauchen sie allenfalls unter ferner Liefen auf. Daran ändern auch ein paar wenige gut recherchierte Fernsehdokumentationen, Rundfunkfeatures und Auslandsreportagen in den Zeitungen nichts, zumal sie meist nicht von denen verfasst sind, um die es geht. Eine kontinuierliche Berichterstattung über Kontinente wie Asien, Südamerika, Afrika und Ozeanien gibt es nicht, in der herrschenden “Weltinformationsordnung“ sind sie weitgehend ausgegrenzt. Während die Industrienationen den Rest der Welt mit ihren Filmen, Nachrichten und Wertvorstellungen überfluten, wird dem Großteil der Menschheit das Recht auf Selbstdarstellung, auf eigene Bilder, eigene Informationen und damit auch auf die kritische Reflexion ihrer eigenen Realität verwehrt. Afrika ist das drastischste Beispiel dafür.

Glatteismeldungen bei 35 Grad im Schatten
Elfenbeinküste, Westafrika: Über der Millionenstadt Abidjan liegt drückende Schwüle. Die Außentemperaturen betragen mehr als 35 Grad im Schatten, die Luftfeuchtigkeit liegt bei 90 Prozent, und über dem Atlantik braut sich ein tropisches Gewitter zusammen. Im Fernsehen läuft derweil folgender Wetterbericht: „Vom Atlantik ziehen Wolken über Großbritannien und Skandinavien bis Osteuropa, die Schneefall mit sich bringen. Bei Schnee und Eisglätte sind auf Deutschlands Straßen am Mittwoch 15 Menschen tödlich verunglückt und 50 wurden verletzt.“ Im Anschluss an diesen Wetterbericht folgen eine Sportreportage über die kanadische Eishockey-Liga und die Fernsehserie "Urgence" - "Polizeinotruf".
Bamako, die Hauptstadt von Mali: Hier leben Familien mitten im Stadtzentrum in Verschlägen aus alten Brettern, Pappe und Plastikplanen am Straßenrand. Im Café gegenüber können sie im Fernsehen eine Reportage sehen: über den Bau kanadischer Chalets in den französischen Alpen. Eine Frau schwärmt in dieser Sendung:
„Ich liebe einfache Häuser aus Holz. Denn sie leben. Sie haben eine Seele.“ Im Anschluss an die Reportage folgt ein französischer Spielfilm, gedreht in einer Pariser Disko.
Bobo Diolasso, im Westen Burkina Fasos: Im Innenhof eines Wohnkarrees aus einfachen flachen Lehmgebäuden sitzen etwa 30 Kinder in schmutzigen Hosen und zerschlissenen T-Shirts sowie zwei Dutzend Frauen in traditionellen Gewändern vor einem Fernsehgerät. Gebannt verfolgen sie die 83. Folge der französischen Fernsehserie "Histoire d'amour", in der gepflegte Weiße in einem luxuriös ausgestatteten Wohnzimmer über Beziehungsprobleme streiten. Danach folgt eine Talkshow aus Paris über "eingebildete Krankheiten" mit Beispielen aus Europa und New York. Einer der Experten doziert: „Das Problem unserer westlichen Gesellschaft sind die sozialen Diskontinuitäten, die zu Krankheiten führen können.“ Die Kinder in Bobo Diolasso schalten um auf den zweiten verfügbaren Kanal. Da läuft der Zeichentrickfilm "Die Schlümpfe".
Europäische und nordamerikanische Bilder dominieren die Fernsehprogramme überall in Afrika. Nach einer UNESCO-Studie aus den achtziger Jahren stammten schon damals 55 Prozent aller Sendungen, die in Afrika über die Bildschirme flimmerten, von außerhalb des Kontinents. Dieser Anteil dürfte in den neunziger Jahren noch weiter angewachsen sein.
John Riber von der Nicht-Regierungsorganisation "Media for Development Trust", die sich um die Verbreitung afrikanischer Filme in Zimbabwe bemüht, sagt über die Fernsehprogramme in seinem Land: „Wie überall in Afrika bestehen sie hauptsächlich aus Filmpaketen, die billig aus Nordamerika, Europa und Australien eingekauft werden. Nach meiner Schätzung machen nationale Produktionen allenfalls 30 Prozent des Programms aus. Das sind zumeist Nachrichten-Sendungen und Talk-Shows sowie lokale Musik-Videos, die allerdings nicht besonders phantasievoll gemacht sind.“
Die Fernsehlandschaft in Südafrika beschreibt Richard Green, Filmproduzent am Kap, so: „Die Programme bestehen aus einer Mischung von südafrikanischen, afrikanischen, US-amerikanischen und europäischen Produktionen, wobei etwa 60 bis 70 Prozent aus den USA und Europa kommen.“

Die „zweite Kolonialisierung“ mit Hilfe der Medien
Die mediale Abhängigkeit Afrikas von den Industrienationen ist Ausdruck der allgemeinen wirtschaftlichen Misere des Kontinents. Den afrikanischen Fernsehstationen fehlen die finanziellen und technischen Mittel, um ihr Programm mit Eigenproduktionen füllen zu können. Oft muss die Ausstrahlung aufgrund technischer Pannen unterbrochen werden, manchmal für Tage, im Kongo einmal sogar für mehrere Monate. Die meisten afrikanischen Fernsehanstalten können zudem kein tägliches Vollprogramm anbieten. So sendet das Fernsehen im Tschad zum Beispiel nur von mittwochs bis sonntags, und das „Télévision Nationale“ in Burkina Faso bietet nur mittags von 12 Uhr 30 bis 14 Uhr 30 und abends von 18 Uhr bis Mitternacht Programm. In den langen Sendepausen bleiben den Zuschauer nur die Sendungen ausländischer TV-Ketten, die über Satellit rund um die Uhr zu empfangen sind. In den anglophonen afrikanischen Ländern werden ihnen darin vor allem US-amerikanische Spielfilme und Talkshows, Soap-Operas und Serien wie „Dallas“, „Denver“ und „Santa Barbara“ geboten. Diese sind auch in den nationalen Fernsehprogrammen häufig zu sehen. Denn die USA bieten ihre Fernsehproduktionen afrikanischen Sendern extrem preiswert an. Müssen europäische Fernsehanstalten für eine Programmstunde aus den USA mehrere Zehntausend Dollar bezahlen, so werden dieselben Sendungen an Stationen in Kenia oder Ghana schon für ein paar Hundert Dollar verkauft, also zu Spottpreisen, die weit unter den Kosten für afrikanische Eigenproduktionen liegen.
Setzten die USA in den siebziger Jahren noch 160.000 Sendestunden pro Jahr in aller Welt ab, so verkaufen sie heute dieselbe Menge pro Woche! In Nigeria und Ägypten kommen deshalb schon mehr als ein Drittel der Fernsehprogramme aus den USA.
Im frankophonen Norden und Westen Afrikas dominieren französische Sender die Fernsehlandschaft. Dazu gehören der kommerzielle "Canal Horizont", der vor allem billig produzierte Quiz-Shows, Familien- und Krimiserien ausstrahlt, und der staatliche "Canal France International", der den afrikanischen Fernsehanstalten - wie insgesamt 70 Stationen weltweit - täglich zehn Stunden fertig produziertes Programm kostenlos (!) zur Übernahme anbietet. Und die armen Fernsehstationen Afrikas machen davon reichlich Gebrauch. Vom Senegal bis zum Niger flimmern deshalb täglich französische Nachrichten und Sportberichte, Magazine und Spielfilme über die Bildschirme. Die kostenlosen Programmlieferungen von "Canal France International" erwiesen sich jedoch als Danaergeschenk. Denn als Folge davon wurden die ohnehin knappen Produktionsbudgets der Fernsehanstalten im frankophonen Afrika von den Regierungen um bis zu 70 Prozent zusammengestrichen.
Darüber hinaus ist in ganz Afrika 24 Stunden am Tag der Sender „TV 5“ zu empfangen, ein gemeinsames Satellitenprogramm von fünf französischsprachigen europäischen Sendern. Dabei wissen die Betreiber aus Europa genau, dass die meisten Menschen in Afrika sich keine Parabolantennen oder gar Kabelanschlüsse leisten können. Deshalb hat die französische Regierung den afrikanischen Fernsehanstalten Satellitenschüsseln geschenkt, damit sie „TV 5“ und „Canal France International“ empfangen und deren Programme teilweise oder ganz über ihre eigenen Sender weiterverbreiten können. Auch wenn die technologische Aufrüstung afrikanischer Fernsehsender als Entwicklungs“hilfe“ deklariert wurde, so hatte sie mit Gönnerhaftigkeit nichts, mit der Wahrung eigener französischer Interessen in Afrika um so mehr zu tun.
Schon seit Anfang der achtziger Jahre gehören die Bemühungen um die mediale Präsenz auf dem afrikanischen Kontinent zu den zentralen Zielen der französischen Außenpolitik. So erklärte Gérard Costes, Leiter der Abteilung Kommunikation im französischen Außenministerium, 1986: „Die Entwicklung eines Auslandsfernsehnetzes zählt zu den großen strategischen Aufgaben, von denen das Überleben unserer Nation abhängt, so wie sie war und so wie sie noch ist.“
Und 1992 bezeichnete selbst die Ministerin für Frankophonie, Catherine Tasca, das französische Auslandsfernsehen ungeschminkt als "zweite Kolonisierung". Rodriguez Barry, der Direktor der nationalen Rundfunkanstalt Burkina Fasos, sieht darin einen Beleg dafür, dass die Industrieländer Afrika immer noch mit derselben Haltung gegenüber treten wie zur Zeit der Kolonisation, nur die Methoden der Herrschaft hätten sich geändert: „Wer die Medien kontrolliert, muss sich gar nicht mehr selbst hierher bemühen, um seinen Einfluss geltend zu machen. Das französische Fernsehen kann seine Botschaften jederzeit und überall verbreiten. Wir wissen hier in Burkina Faso besser, was der französische Staatschef Chirac den lieben langen Tag über macht, als was unser eigener Präsident tut.“ Barrys Fazit: „Über die Medien setzt Europa seinen Führungsanspruch bis heute fort. Afrika verfügt nicht über die Mittel, sich dem zu widersetzen und wird deshalb wohl noch lange darunter zu leiden haben.“
Materieller Mangel zementiert diese politisch gewollte und ökonomisch erzwungene Abhängigkeit. Das lässt sich im Regionalstudio von „Radio Burkina“ in Bobo Diolasso, der zweitgrößten Stadt des westafrikanischen Landes, beispielhaft beobachten. In den schlecht ausgestatteten Räumen dieser kleinen Radiostation gibt es nur ein winziges Studio mit einem Tonbandgerät, einem Plattenspieler und einem einfachen Mischpult. Selbst diese veraltete Technik stammt komplett aus der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich. „Burkina Faso ist nicht in der Lage, ein einziges Mikrophon oder eine Kamera zu produzieren“, erklärt Adama Tiendebeogo Damuss, Rundfunkredakteur in Bobo Diolasso. „Das heißt, die Kamera hier und das Mikrophon dort kommen aus dem Ausland. Sie wurden uns geschenkt. Aber über Geschenke dieser Art wird versucht, Einfluss auf die Inhalte unserer Programme zu nehmen.“ Denn die französischen „Helfer“ verbinden mit ihren „Spenden“ bestimmte Erwartungen: „Sie sagen: Wir schenken Euch dieses Mikro, aber dafür müsst Ihr auch ein wenig Werbung für das machen, was uns wichtig ist. Und die entsprechenden Dokumentationen, die wir dann im Fernsehen ausstrahlen sollen, werden gleich mitgeliefert.“ Für das Radio, so Tiendebeogo Damuss, gelte dies genauso: „In Westafrika kommen fast alle Rundfunknachrichten direkt von ‚RFI - Radio France International’. Auch hier in unserem ’Radio Bobo’ laufen ganze Sendungen, die uns RFI zur Verfügung stellt.“ Darin seien natürlich nie Informationen enthalten, die den französischen Interessen in Afrika schaden könnten: „Letztlich steht das frankophone Afrika so immer noch unter der Kontrolle Frankreichs.“

Die Debatte um eine neue Weltinformationsordnung
Schon Anfang der siebziger Jahre, also unmittelbar nach der Unabhängigkeit der meisten ehemaligen Kolonien, gab es erste Ansätze, die internationale Kontrolle der Medien durch die Industrienationen zu durchbrechen - nicht nur in Afrika, sondern in der gesamten "Dritten" Welt. 1973 verabschiedeten die blockfreien Staaten auf einer Konferenz in Algier eine gemeinsame Erklärung gegen die ausländische Mediendominanz. Sie forderten eine "Neue Weltinformationsordnung" und lösten damit in der UNESCO, der Kulturorganisation der Vereinten Nationen, eine heftige Debatte aus. 1980 wurde für die UNESCO der „MacBride-Bericht“ erstellt, eine Studie über die weltweite Kommunikation. Darin wurde der statistische Beleg dafür geliefert, dass die weltweite Informationsflut fast ausschließlich in eine Richtung floss: vom reichen Norden in den armen Süden. So verbreiteten die vier großen US-amerikanischen und europäischen Nachrichtenagenturen AP, UPI, AFP und Reuters in den achtziger Jahren täglich 34 Millionen Wörter, während es der Nachrichtenpool der blockfreien Staaten auf gerade 100.000 Wörter brachte und die panafrikanische Nachrichtenagentur PANA sogar nur auf 20.000. Das bedeutete: Jede Nachricht aus Afrika musste mit mehr als 1400 Nachrichten aus den Industrienationen konkurrieren.
Um dieses Missverhältnis zu überwinden, forderten die Vertreter der "Dritten" Welt damals Hilfe beim Aufbau eigener Medien, Agenturen und Kommunikationsnetze. Und sie versuchten, die unkontrollierte Satelliten-Ausstrahlung von Fernsehprogrammen aus den Industrienationen in ihren Ländern zu verhindern. 1982 setzten sie in der Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Resolution mit der Forderung durch: „Grenzüberschreitende Sendungen über Satelliten sollen nur mit Zustimmung des Empfängerlandes zulässig sein, und die Auswahl der Programme soll in der Verantwortung der jeweiligen Staaten liegen.“ Diese Resolution wurde zwar mit 107 zu 13 Stimmen angenommen. Aber die Gegenstimmen kamen von denen, die bei der UNO das Sagen haben: von den Industrienationen. Insbesondere die US-Regierung unter ihrem damaligen Präsidenten Ronald Reagan lief Sturm gegen den Versuch, die bestehende Informationsordnung zu verändern. Die Kontrolle der Dritt-Welt-Staaten über ihre Medien, so hieß es, schränke die Pressefreiheit ein, und staatlichen Zensurmaßnahmen werde Tür und Tor geöffnet. Sicher gab es damals von Augusto Pinochet in Chile über Joseph Désiré Mobutu in Zaire bis zu Ferdinand Marcos in den Philippinen Diktatoren, denen es darum ging, möglichst jede, auch in den westlichen Medien gelegentlich vernehmbare Kritik an ihrer Herrschaft zu unterbinden. Aber diese Despoten hatte die US-Regierung mit Hilfe ihres Geheimdienstes CIA selbst an die Macht gehievt, weshalb die Sorge der Reagan-Regierung um die Meinungsfreiheit damals ebenso verlogen war, wie die Funktionalisierung der Menschenrechte durch George W. Bush heute.
Tatsächlich ging es der US-Regierung immer nur darum, die weltweite Vorrangstellung US-amerikanischer Medienkonzerne und die ungehinderte Verbreitung des "American way of life" über Rundfunk- und Fernsehprogramme in aller Welt zu sichern. Weil sie die Debatten um eine neue Weltinformationsordnung anders nicht einzudämmen vermochten, kündigten die USA 1983 ihre Mitgliedschaft in der UNESCO auf, und 1985 zog sich auch die britische Regierung unter Margaret Thatcher aus dieser UN-Organisation zurück. Die UNESCO verlor damit mehr als ein Viertel ihrer Finanzmittel und ihr damaliger Direktor, der Senegalese namens Amadou Mahtar M'Bow, wurde schließlich abgesetzt, weil er die Forderung nach einer neuen Weltinformations- und kommunikationsordnung unterstützt hatte. Von diesem Schlag hat sich die UNESCO bis heute nicht erholt. Für Rodriguez Barry, den Direktor der nationalen Rundfunkanstalt Burkina Fasos, war dies „eine entscheidende Auseinandersetzung“: „Alle Untersuchungen hatten gezeigt, dass die Informationswege Einbahnstraßen waren und nur vom Norden in den Süden führten. Nicht einmal ein Prozent aller Informationen floss in die umgekehrte Richtung.“ Wie Barry aus eigener Erfahrung weiß, hat sich an diesem Missverhältnis bis heute nichts geändert. „So beziehen wir zum Beispiel hier in unserer Rundfunkanstalt in Ouagadougou den Nachrichtendienst von ‚Agence France Press’, dessen Berichte wir auch verwenden.“ Wer in Afrika Nachrichten im Fernsehen sähe oder im Radio höre, so Barry, werde darin über Europa umfassend informiert. Nur umgekehrt funktioniere der Informationsfluss bis heute nicht: „Zwischenzeitlich wurde zwar eine panafrikanische Nachrichtenagentur namens PANA mit Sitz in Dakar gegründet, die Informationen aus ganz Afrika anbietet. Aber in Europa interessiert sind nahezu keine Redaktion dafür.“
Dieses Ungleichgewicht führt dazu, dass auch Ereignissen aus Afrika auf dem eigenen Kontinent nicht der Stellenwert eingeräumt wird, der ihnen eigentlich zukommt. Rodriguez Barry illustriert dies am Beispiel eines Fußballspiels der Mannschaft aus Ouagadougou in der nur 360 Kilometer entfernten Stadt Bobo Diolasso: „Um dieses Spiel im Fernsehen zu sehen, müssen die Leute mindestens einen, wenn nicht sogar zwei Tage warten, weil uns kein funktionierender Übertragungswagen zur Verfügung steht.“ Fußballspiele aus Paris dagegen würden über die französischen Satelliten-Programme auch in Westafrika stets live und in voller Länge übertragen. Die Folge: „Die Leute in Burkina Faso kennen alle französischen Spieler und wissen mehr über die französische Liga als über die Fußballmeisterschaften in ihrem eigenen Land.“
Das lässt sich in Westafrika an jeder Straßenecke beobachten, zum Beispiel in einem Café in Bobo Diolasso. Im Fernsehen läuft das französische Pokalspiel „Marseille gegen Lens“ und ein Straßenhändler, der zuschaut, erklärt: „80 Prozent der Leute halten zu Marseille. Der europäische Fußball ist dem afrikanischen einfach um einiges voraus. Das sieht man schon daran, dass auch professionelle Fußballer aus Afrika in Europa spielen.“
Die alltägliche Flut ausländischer Bilder und Informationen, so Barry, drohe die kulturellen Traditionen und die gewachsenen gesellschaftlichen Strukturen Afrikas hinwegzuspülen. „Es ist gefährlich, auf unserem Kontinent ständig Bilder zu verbreiten, die aus einer völlig anderen Realität stammen“, sagt er. „Damit wird die Haltung gefördert, dass alles, was von außen kommt, besser ist. Viele Einwohner Burkina Fasos denken inzwischen tatsächlich so, obwohl sie ihr eigenes Land nicht einmal kennen.“ Laut Barry schauen insbesondere die Intellektuellen in Afrika meist den französischen Fernsehsender „TV 5“, und im Radio hören sie „Radio France International“. „Das heißt: sie leben mit ihren Gedanken im Ausland. Dabei werden Wünsche und Bedürfnisse gefördert, so zu leben wie die Leute, die in den französischen Sendungen präsentiert werden.“ Auf diese Weise würden die Menschen in Afrika „kulturell verwestlicht“. Sie begännen, „sich wie Europäer zu kleiden“ und äfften die jeweils neueste Mode aus Europa nach. „Dabei müssen sie trotzdem alltäglich weiterhin in einer afrikanischen Realität leben, die von Armut geprägt ist. Dieser Konflikt führt zu Frustrationen. Denn man kann sich die schönen europäischen Autos, Luxusrestaurants und Villen noch so oft im Fernsehen ansehen, an den Lebensverhältnissen hier ändert dies noch lange nichts.“
Die Auswirkungen der auswärtigen Medienpräsenz lassen sich überall auf dem afrikanischen Kontinent beobachten, von Dakar bis Harare. Der südafrikanische Film- und Fernsehproduzent Richard Green sagt über die Folgen: „US-amerikanische Schauspieler, insbesondere schwarze, sind zu virtuellen Kultfiguren für die schwarzen Teenager Südafrikas geworden. Sie übernehmen westliche Musik und Mode, Sprache und Slang aus dem Fernsehen.“

Panafrikanische Koproduktionen
Viele Medienschaffende in Afrika kritisieren den „Kulturimperialismus“ Europas und der USA und sie unternehmen immer wieder verzweifelte Versuche, ihm etwas entgegenzusetzen. So organisiert die panafrikanische Fernsehagentur „Afro-Vision“ seit 1991 täglich einen halbstündigen Nachrichtenblock für 15 afrikanische Sender. Und in Westafrika gibt es Bemühungen, den Programmaustausch unter den Fernseh- und Rundfunkstationen auszubauen. Dabei geht es vor allem um Sendungen, in denen sich die afrikanische Lebenswirklichkeit widerspiegelt. Die Serie "A nous la vie" - "Das Leben gehört uns", die im März 1999 im Fernsehen Burkina Fasos anlief, ist ein Beispiel dafür. Sie richtet sich speziell an ein jugendliches Publikum und kopiert formal auswärtige Vorbilder: Die Handlung spielt, wie bei US-amerikanischen Sitcoms, fast ausschließlich an einem Ort und in einem Dekor, in den Räumen eines Gymnasiums. Auch die Filmmusik greift das auf, was bei Afrikas Jugendlichen derzeit angesagt ist: den Rap. Dabei entstammen die Inhalte der Serie, die aus zwölf Teilen von jeweils 26 Minuten Länge besteht, allerdings eindeutig aus der afrikanischen Realität. „Wir haben diese Serie bewusst mit jugendlichen Darstellern aus verschiedenen afrikanischen Ländern realisiert“, erläutert Produzent Toussaint Tiendrebeogo. „Sie repräsentieren die Jugend Afrikas, eine verantwortliche und dynamische Jugend.“ Das Gymnasium, das sie in der Fernsehserie besuchen, verfolge das Ziel, “den panafrikanischen Austausch von Ideen und Kulturen zu fördern“. Mit diesem Konzept versuchen die westafrikanischen Fernsehmacher, „den Serien etwas entgegenzustellen, die aus den USA und Frankreich importiert werden.“ Denn diese präsentierten Lebensmodelle, die sich in Afrika nicht nachahmen ließen, weil sie aus anderen sozioökonomischen und politischen Systemen stammten.
Die Serie "A nous la vie" kommt beim jugendlichen Publikum in Burkina Faso gut an, denn sie erzählt nicht nur von ihren alltäglichen Problemen, von der drohenden Arbeitslosigkeit bis zu Themen wie AIDS und Drogen, sondern sie ist auch flott geschnitten und voller witziger Dialoge. So etwa bei den Auftritten von Burkinas Filmstar Abdoulaye Komboudri, der in der Serie den Kellner an der Schulbar spielt. Einem arroganten Soziologieprofessor, der Komboudri vorwirft, einen schlechten Einfluss auf die Schüler auszuüben, antwortet er: „Ich öffne nicht den geistigen Horizont der Schüler, sondern nur ihre Cola- und Fantaflaschen.“
In einer Folge der Serie präsentiert ein afrikanischer Regisseur vor den Schülern des Gymnasiums seinen neuesten Film. Darin geht es um die Hoffnung zweier Liebender, die für die Hoffnung auf ein solidarisches Miteinander in Afrika steht. Doch die Schüler fragen nach, worin denn diese Hoffnung bestehe, wenn der Regisseur seinen Film auch wieder nur mit Geld und Technik aus Frankreich habe drehen können. Der Filmemacher gibt zu, dass er - wie alle seine Kollegen - auf Mittel aus Europa angewiesen sei. Aber er akzeptiere diese nur, solange er die Freiheit behalte, seine Themen und Darsteller selbst zu wählen.
Tatsächlich konnte auch die Serie "A nous la vie" nur mit finanzieller Hilfe europäischer Fernsehanstalten produziert werden. Und auch sie muss über den französischen Satellitensender "Canal France International" ausgestrahlt werden, um ihr jugendliches Publikum in ganz Afrika zu erreichen. Denn einen afrikanischen Fernseh- oder Rundfunk-Satelliten gibt es bislang nicht.

Der Krieg um die Köpfe
Für Rundfunkdirektor Rogriguez Barry wäre ein panafrikanischer Satellit ein erster Schritt zur Überwindung der ausländischen Mediendominanz. Die arabischen Länder Nordafrikas könnten zumindest den arabischen Satelliten ARABSAT empfangen, sagt er. Ein Satellitenprogramm für den Rest Afrikas sei allerdings „bis heute ein Wunschtraum“ geblieben: „Dafür bedarf es des politischen Willens. Südafrika zum Beispiel besitzt immerhin Atomwaffen, also könnte es auch einen Satelliten bauen. Auch Länder wie Angola, Mosambik und der Kongo, die heute Kriege führen, hätten die technischen und finanziellen Ressourcen, einen Satelliten für Afrika zu lancieren.“ Aber so bedeutsam die mediale Selbstbestimmung, die Kontrolle über die Informationen auch ist, laut Rodriguez Barry genießt dieses Thema derzeit „leider keine politische Priorität in Afrika“.
Dafür sind andere, nicht-afrikanische Investoren, weiter aktiv, so zum Beispiel das US-amerikanische Unternehmen "Worldspace". Im Oktober 1998 ließ es den Satelliten "AfriStar" im Weltraum aussetzen, der etwa 80 Radioprogramme über Afrika ausstrahlen soll. Zu empfangen sind diese allerdings nur mit einem von der US-Firma vertriebenen digitalen Radiogerät, das mit einer kleinen Empfangsschüssel ausgerüstet ist. Kostenpunkt: etwa 200 US-Dollar. Soviel verdienen die meisten Afrikaner nicht einmal pro Jahr. Das heißt: nur eine kleine Elite wird sich das neue Satellitenradio leisten können. Genau um diese Elite geht es den US-amerikanischen Projektbetreibern. Denn die USA führen derzeit einen regelrechten "Krieg um die Köpfe" in Afrika, um den französischen Einfluss auf dem Kontinent zurückzudrängen. Die einfache, wenn auch folgenreiche Überlegung dabei ist: Wenn Afrikaner US-amerikanische Fernsehsendungen und Hörfunkprogramme empfangen und US-amerikanische Nachrichten in ihren Zeitungen lesen, werden sie auch US-amerikanische Produkte kaufen und US-amerikanische Anschauungen übernehmen. So wie früher die Missionare, so bereiten heute die Medien den Weg für die Eroberung von Märkten und die Kontrolle von Menschen.

Neue Medien – neue Abhängigkeiten
Die wichtigste Kommunikationstechnologie weltweit ist bis heute das internationale Telefonnetz, das derzeit ständig ausgebaut und auf digitale Übertragung umgestellt wird. Auf diesem Sektor wird der afrikanische Kontinent noch deutlicher von der internationalen Entwicklung überrollt als bei den audiovisuellen Medien. So leben in Afrika zwar 12 Prozent der Weltbevölkerung, aber der Anteil des Kontinents am weltweiten Telekommunikationsumsatz beträgt gerade zwei Prozent. Allein in der japanischen Stadt Tokio gibt es mehr Telefonanschlüsse als auf dem gesamten afrikanischen Kontinent. In den ländlichen Gebieten Afrikas müssen sich 1700 Menschen einen Telefonapparat teilen, und im Durchschnitt kann jeder Afrikaner pro Jahr nur ein Telefongespräch von weniger als einer Minute Dauer führen. Dafür können Afrikaner, so ihr Dorf über einen Fernsehapparat verfügen sollte, überall auf dem Kontinent Sendungen wie das „Werbe-Quiz“ auf „TV 5“ sehen, in dem die Zuschauer aufgefordert werden, ihre Antworten per Internet einzureichen, um an der Verlosung der Preise teilnehmen zu können: „Die Internet-Nummer lautet: www.tv5-Europa. Viel Glück.“ Die guten Wünsche der französischen Moderatorin nutzen den Afrikanern wenig. Denn nicht einmal ein Viertel der afrikanischen Länder ist bislang ans Internet-Netz angeschlossen. Aber das soll sich jetzt ändern: wiederum mit ausländischer, keineswegs eigennütziger "Hilfe". Derzeit verlegt der US-Konzern "AT&T", das zweitgrößte Telekommunikations-Unternehmen der Welt, in Zusammenarbeit mit der „International Telecommunication Union“ in Genf ein 35.000 Kilometer langes Glasfaserkabel rund um den afrikanischen Kontinent. Über Anschlussstellen in 41 Staaten und Inselgruppen soll Afrika an das globale Kommunikationsnetz angeschlossen werden. "Africa One" ist der euphemistische Name dieses Projekts, doch um afrikanische Interessen geht es dabei zuallerletzt. Nirgends ist der Informationsfluss so einseitig ausgerichtet wie auf den internationalen Datenautobahnen. So kommen 90 Prozent der weltweiten Anbieter von Daten aus den USA und aus Europa, Afrika stellt gerade einmal sechs von 1000. Klammert man im internationalen Vergleich die technisch vergleichsweise gut ausgestattete Republik Südafrika aus, so findet sich sogar nur einer unter 100.000 Internet-Anbietern auf dem afrikanischen Kontinent. Allein in der Stadt New York gibt es mehr Internet-Anbieter als in ganz Afrika.
Wie soll Afrika auch im Computerzeitalter mithalten, wenn 70 Prozent seiner Bevölkerung kurz vor der Jahrtausendwende nicht einmal über Strom verfügen und mehr als die Hälfte weder lesen, geschweige denn Computerbefehle schreiben kann? In der schönen neuen Medienwelt des 21. Jahrhundert droht Afrika deshalb vollständig ins technologische Abseits zu geraten. Zu verhindern wäre dies nur durch eine konzertierte politische Initiative der afrikanischen Regierungen und eine Neuauflage der Debatte um eine „gerechte Weltinformationsordnung“. Doch dafür gibt es derzeit kaum Anzeichen. Kein internationales Gremium von Rang beschäftigt sich noch intensiv mit dem Thema. Und die UNESCO, die Kulturorganisation der Vereinten Nationen, die ehemals dafür zuständig war, darf nicht mehr. Denn die USA traten kurz vor der Jahrtausendwende der UNESCO nur unter der Bedingung wieder bei, dass es in dieser UN-Organisation keinerlei Diskussionen über die bestehende Weltinformationsordnung mehr gibt. Dabei gäbe es genau dafür, wie Rundfunkdirektor Rodriguez Barry aus Burkina Faso betont, allen Grund: „Die meisten Informationen, die wir in Afrika erhalten, kommen von außen, wobei uns von Europa immer nur die guten Seiten gezeigt werden, während man dort umgekehrt von Afrika nur die schlechten präsentiert. Niemand interessiert sich für unsere Bemühungen, daran etwas zu ändern.“ Für westliche Journalisten, so Barry weiter, lohne es sich offensichtlich nicht, sich ernsthaft mit Afrika zu beschäftigen. Deshalb sei das Bild des Kontinents anderswo immer noch von Klischees geprägt. In Burkina Faso, sagt Barry, treffe er immer wieder auf Reisende aus Europa, die sich überrascht zeigten, „dass es auch in Afrika Restaurants und Autos gibt, und dass wir nicht im Busch hocken und Blätter von den Bäumen fressen.“

(Aktualisierte Printfassung einer Rundfunksendung, die unter dem Titel „Die Weltinformationsordnung am Beispiel Afrikas“ am 28.10.1999 in SWR 2 und am 22.7.1999 im DeutschlandRadio Berlin gelaufen ist.)

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