GesprÄch mit dem Filmemacher Raoul Peck
»Beim Thema Afrika steckt Deutschland den Kopf in den Sand.«
Gespräch mit dem Filmemacher Raoul Peck
Das Interview führte Karl Rössel im Juli 2001 anlässlich der bundesdeutschen Erstaufführung von »Lumumba« in Frankfurt.
Schon 1993 haben Sie uns beim panafrikanischen Filmfestival FESPACO in Ouagadougou erstmals von Ihrer Idee erzählt, einen Spielfilm über die Ermordung Lumumbas zu drehen. Wieso hat es bis zur Realisation dieses Films sieben weitere Jahre gedauert?
Peck: Erstaunlicherweise lag es nicht an politischen Schwierigkeiten. Tatsächlich konnte ich an diesem historischen Film, der für meine Verhältnisse teuer war, in totaler Freiheit arbeiten. Die Verzögerung hat eher damit zu tun, dass ich 1996 zurück in mein Geburtsland Haiti gegangen bin und dort als Kulturminister gearbeitet habe. Danach habe ich wieder bei Null angefangen, aber die Verschiebung hat sich letztlich positiv auf den Film ausgewirkt. Ich selbst bin durch meine Erfahrungen in Haiti reifer und der Widerstand gegen einen solchen Film in Belgien und Europa ist im Laufe der Jahre geringer geworden. Immerhin ist nicht nur Zaires langjähriger Diktator Mobutu zwischenzeitlich gestorben, sondern auch der belgische König Baudouin. Danach waren auch die Öffentlichkeit und das Fernsehen in Belgien eher bereit, sich mit diesem Thema auseinander zu setzen.
Trotzdem konnten Sie den Film nicht an den Originalschauplätzen im Kongo bzw. in Zaire drehen.
Die Vorbereitungen für die Dreharbeiten haben ein Jahr gedauert, weil wir lange suchen mussten, bis wir in Afrika Drehorte fanden, an denen wir über längere Zeit problemlos arbeiten konnten. Schließlich fiel unsere Wahl auf Zimbabwe und Mosambik, wo wir ungefähr drei Monate gedreht haben. Ein kleiner Teil des Films wurde schließlich auch in Belgien gedreht.
Der Film folgt keiner strikten Chronologie, sondern das Ende, der Mord an Lumumba und seinen zwei Mitstreitern, wird schon in der Anfangsszene vorweggenommen. Darin ist zu sehen, wie zwei belgische Schergen die Leichen beseitigen. Dazu ertönt aus dem Off die Stimme Lumumbas mit dem Satz: »Selbst tot mache ich ihnen noch Angst.«
Peck: Ich wollte, dass die Leute von vornherein wissen, worum es in diesem Film geht. Schließlich wird Afrika noch immer häufig als ein Kontinent dargestellt, der angeblich in der Steinzeit lebt und wo sich Schwarze bei Massakern gegenseitig die Köpfe abschneiden. Mir war es wichtig, von vornherein klarzustellen, dass Barbarei nicht von der Hautfarbe abhängt, sondern eine Folge von Machtinteressen ist. Auch im weiteren Verlauf des Films habe ich die chronologische Erzählweise auf verschiedenen Weise gebrochen. Zwar ist das Ende der Geschichte am Anfang angedeutet und zum Schluss schließt sich auch der Kreis, doch wird dieser Schluss noch einmal anders erzählt als am Anfang. Manche Ereignisse haben sich in Wirklichkeit nicht ganz genau so abgespielt wie im Film und andere sind nur angedeutet. Insofern ist dies kein Film, den man einfach so konsumieren kann, auch wenn er in der Tradition politischer Thriller steht.
Schon mit der Dokumentation »Lumumba – Tod eines Propheten«, haben Sie sich 1991 erstmals – damals auf essayistische und assoziative Weise – mit der Person Lumumba auseinandergesetzt. Welche Bedeutung hat diese historische Figur für Sie persönlich?
Peck: Lumumba war noch sehr jung, gerade 36 Jahre, als er exekutiert wurde. Er war ein Mann, der einen Traum hatte für sein Land, aber sehr schnell begreifen musste, dass er damit allein gegen den Rest der Welt stand, zumindest gegen den westlichen Teil der Welt, der damals das Sagen hatte. Der Westen war auch nach der Unabhängigkeit des Kongo weiterhin daran interessiert, die Reichtümer des Landes ungestört ausplündern zu können. Es war die Zeit des Kalten Krieges, und es sollte mit allen Mitteln verhindert werden, dass der Kongo unter sowjetischen Einfluss geriet. Schließlich war der Kongo in den 80 Jahren der Kolonialzeit praktisch Privatbesitz des belgischen Königs, Leopold II., gewesen, und auch die USA hatten dort wichtige Interessen zu verteidigen. Es sei nur daran erinnert, dass das Uran für die Atombomben, die in Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden, aus dem Kongo stammte. Insofern fängt die Geschichte nicht erst nach der Unabhängigkeit und der Wahl Lumumbas zum ersten Premierminister des Kongo an, sondern viel früher. Lumumba wurde 1960 bei der ersten und bis heute einzigen demokratischen Wahl im Kongo gewählt. Natürlich trat er mit dem Anspruch an, selbst über die Rohstoffe seines Landes und die Zukunft seiner Landsleute bestimmen zu können. Aber das kam im Westen natürlich nicht gut an und so war schnell klar, dass er beseitigt werden sollte. Bei der Vorbereitung zur Ermordung Lumumbas sind sich die Geheimdienste Belgiens und der USA manchmal sogar auf die Füße getreten, so eilig hatten sie es, Lumumba loszuwerden.
Dabei übernahm Lumumbas ehemaliger Freund und Weggefährte Mobutu eine besonders unrühmliche Rolle…
Peck: Die Geschichte der beiden Freunde, Mobutu und Lumumba, erinnert an ein klassisches Drama von Shakespeare. Mobutu hat das Spiel akzeptiert, das ihm von den westlichen Ländern zugewiesen wurde. Mit seinem Verrat an Lumumba wurde er zum Gegner seiner eigenen Leute. Er ließ sich benutzen und hat Lumumba fallengelassen, weil er persönliche Machtinteressen verfolgte. Ohne Leute wie Mobutu hätte dieses Drama so nicht stattfinden können. Aber andernfalls hätte sich der Westen wohl jemand anderen gesucht. Das haben die USA Anfang der 60er Jahre auch in Lateinamerika mehrfach vorexerziert.
Demnach sind die Ereignisse im Kongo nur eines von vielen Beispielen dafür, mit welchen Methoden der Westen damals seine Machtinteressen in aller Welt sicherte?
Peck: Die sogenannte »Kongo-Krise« ist tatsächlich ein Paradebeispiel für die Mechanismen, die immer in Kraft waren, wenn es darum ging, Macht zu erhalten und geopolitische und strategische Interessen zu verteidigen. Schließlich ist der Kongo ein besonders rohstoffreiches Land, und deshalb spielen all die großen Worte wie »Demokratie«, »Menschenrechte« und »Solidarität« bis heute keine Rolle, wenn es dem Westen darum geht, dort seine Interessen zu wahren. In all den Kriegen, die heute in Afrika geführt werden, geht es immer noch um den Zugriff auf Diamanten, Gold, Öl und andere Rohstoffe. Unglücklicherweise stehen Afrika deshalb sogar weitere Kriege bevor. Angola wird in zehn Jahren wahrscheinlich das Land mit den größten Ölreserven auf der Welt sein und sich damit sicher viele Probleme einhandeln.
Lumumba trat nicht nur für ein politisch, sondern auch für ein wirtschaftlich unabhängiges Afrika ein und er gehörte zu den Vertretern des Panafrikanismus, die für einen Zusammenschluss der afrikanischen Staaten plädierten. Inwieweit ist Ihr Film ein Beitrag zur Bewahrung und Wiederbelebung dieser Ideen?
Peck: Natürlich gibt es andere Wege, sich Gehör zu verschaffen und sich künstlerisch auszudrücken, als in Filmen. Aber wenn man die Macht der Bilder kennt, dann weiß man auch, wie schwer es junge Männer und Frauen haben, sich heute im Kongo, in Mali oder auch in Haiti zurecht zu finden. Die meisten haben in ihrem Leben nur sehr wenige Bilder gesehen, die sie selbst und die Geschichte ihrer Länder wirklich betreffen oder in denen es um ihre Zukunft und Träume geht. Aber nur wenn man weiß, wo man herkommt, kann man auch beurteilen, welchen Platz man in der Welt einnimmt. Für die gesamte »Dritte« Welt gilt das nicht, sie sieht sich fast immer nur durch die Augen von anderen.
Wie bedeutsam die Aufarbeitung der eigenen Geschichte für das afrikanische Publikum ist, zeigt der Andrang beim Filmfestival FESPACO in Burkina Faso, wenn dort Filme über Politiker wie Thomas Sankara, Malcolm X oder auch Lumumba gezeigt werden. Wie waren die Reaktionen auf Ihren Film in Europa?
Peck: Für mich erstaunlich, da der Eindruck, den der Film auch beim Publikum in Ländern wie Frankreich und Belgien hinterließ, sehr viel größer war, als ich erwartet hatte. Auch in den USA gibt es unglaublich enthusiastische Reaktionen, und das nicht nur beim afro-amerikanischen Publikum.
Ganz anders in Deutschland. Hier fand sich kein Verleiher, der den Film in die Kinos bringen mochte, und so gibt es bislang nur eine einzige Kopie Ihres Films mit deutschen Untertiteln, die vom »Evangelischen Zentrum für entwicklungsbezogene Filmarbeit« (EZEF) verliehen wird, einer Institution, die bislang nur Filme für den nichtgewerblichen Bereich, also für Schulen und Initiativen, vertreibt. Welche Erklärung haben Sie dafür?
Peck: Das hat nichts mit dem Film, aber sehr viel mit Deutschland zu tun. Beim Thema Afrika steckt Deutschland den Kopf in den Sand. Ich weiß dies ganz gut, weil ich selbst 15 Jahre in Berlin studiert habe. In dieser Zeit habe ich häufig erlebt, dass mir viele Türen verschlossen blieben und es mir auch immer schwerer gemacht wurde, künstlerisch zu arbeiten. Selbst türkische Kollegen, die einen deutschen Pass hatten, konnten viele ihrer Projekte nicht verwirklichen, weil angeblich der »deutsche Bezug« fehlte. Wären schon vor zwanzig Jahren Filme dieser Art unterstützt worden, wären möglicherweise viele der Probleme, vor denen wir heute stehen, gar nicht erst entstanden. Irgendwann brechen die Konflikte dann gewaltsam aus – so wie zum Beispiel im englischen Brixton.
In Belgien dauerte es 40 Jahre, bis das Parlament im letzten Jahr eine offizielle Kommission einrichten musste, um die Verantwortung der belgischen Regierung und des belgischen Geheimdienstes für die Ermordung Lumumbas zu untersuchen. Inwieweit hat Ihr Film dazu beigetragen?
Peck: Die Debatte über Lumumba musste auch in Belgien erzwungen werden. Auslöser dafür waren zum einen das Buch des belgischen Journalisten Ludo de Witte über die Hintergründe des Mordes an Lumumba, zum anderen mein Film. Allerdings glaube ich nicht, dass die Untersuchungskommission viel zustande bringen wird. Ich weiß z.B. von einem kongolesischen Experten, der dieser Kommission angehört, dass ihm keineswegs Zugang zu allen historischen Dokumenten gewährt wurde. Es gibt Leute, die viel zu verlieren haben, wenn herauskommt, dass Sie verantwortlich sind für die Katastrophe, die sich im Kongo seit der Ermordung Lumumbas abspielt.
Sie haben demnach keine Hoffnung, dass die Mörder Lumumbas jemals zur Rechenschaft gezogen werden?
Peck: Es ist wahrscheinlich schon fast zu spät dazu. So ist zum Beispiel der Belgier, der Lumumbas Leiche beseitigt und in Stücke zersägt hat, vor ein paar Monaten gestorben. Alle anderen Verantwortlichen sind inzwischen so alt, dass sie kaum noch vor Gericht gestellt werden könnten.
Werden Sie nach Ihren Erfahrungen mit dem Film Lumumba an ähnlich brisanten Projekten weiterarbeiten?
Peck: Wenn ich kann, ja, ich habe mehrere Ideen… So geht es in einem möglichen Projekt um den Uranhandel mit Frankreich und in einem anderen um den Rassismus in Deutschland. Aber sicherlich werden diese Geschichten nicht einfach zu realisieren sein. |